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Dies Wort habe gezündet in ihm, und auf einmal stand, wie in¬
folge einer göttlichen Einstrahlung, das ideale Bild des Gottes vor seiner
Seele, und indem er alle Kräfte derselben zusammengenommen, sei ihm
gelungen, ein Werk zu schaffen, welches weit über alle Werke der frühern
und der spätern Künstler hervorragte. Und als der Meister sein Werk
vollendet, da bekräftigten Blitz und Donnerschlag die Wahrheit desselben,
in welchem alle Hellenen fortan den Gott geschaut haben.
Die dem Bilde zu Grunde liegende Idee ist demnach die des
allmächtig herrschenden, überall siegreichen Gottes, in huldvoll gewähren¬
der gnädigen Erhörung menschlicher Bitten, des Vaters der Götter und
Menschen, in ruhiger, leidenschaftsloser Hoheit und Majestät.
Der von der Mitte der Stirn (in der bekannten vatikanischen Maske)
löwenartig emporstrebende, dann zu beiden Seiten in mächtigen Locken
herabwallende Haarwuchs, die gewaltigen Wellen des Bartes und die
edel und breit geformte offene Brust drücken in sich beruhende göttliche
Macht, die oben klare und helle, nach unten löwenartig vorgewölbte
Stirn ruhige göttliche Willenskraft ans; die zurückliegenden, aber weit
geöffneten und gerundeten Augen blicken heitere Weisheit; die feinen
milden Züge der Wange und des Mundes zeigen die Güte, Milde und
Liebe des Vaters der Götter und Menschen. Und überschwängliche
Schönheit war über den ganzen Bau des gewaltigen Leibes ausgegossen.
Auch der Thron von Cedernholz, auf dem er saß, war reich verziert mit
Elfenbein, Gold und Edelsteinen, Reliefs und Gemälden; er selbst trug
auf dem Haupte einen goldenen Kranz aus künstlichen Ölzweigen, grün
emailliert, in der Rechten die Siegesgöttin, ebenfalls aus Gold und Elfen¬
bein, in der Linken sein Scepter, aus allen Metallen kunstvoll zusammen¬
gesetzt, auf dessen Spitze der König der Vögel, des Gottes Diener, ein
Adler saß. Von Gold auch waren die Sohlen des Gottes und der ganze
Mantel, und auf diesem Tiergestalten und Lilien gepreßt und mit Farben
eingebrannt; eine Locke seines Hauptes wog 300 Goldstücke. Um die
Füße des Thrones führten, an den Händen sich fassend, vier goldene
Siegesgöttinnen einen Reigentanz auf; an den obern Teilen desselben
waren auf der einen Seite die Chariten ff auf der andern die Horen2
abgebildet, um die geistige Schönheit des Weltalls und die geordnete
Reihe der Jahreszeiten zu versinnlichen und anzudeuten, daß von den
Lippen beider stets der Ruhm ihres himmlischen Vaters ertöne und mit
Frohsinn erfülle alle ihm Nahenden. Auch der Schemel seiner Füße war
geschmückt mit goldenen Löwen und der Schlacht des Theseus gegen die
Amazonen in erhabener Arbeit. Ja selbst die zur Erhaltung des Bildes
1 Chariten — Huldgöttinnen.
2 Horen — Zeitgöttinnen.