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Strichvögeln gleich, ziehen aus manchen Gegenden, besonders des Ober¬
gebirges, im Frühjahr Hunderte mit Bändern, Spitzen, Blechwaren,
blauer Farbe u. s. w. in alle Länder deutscher Zunge, von der Schweiz
bis Rußland; ja oft nur mit Axt und Kelle, anderwärts zu zimmern
oder zu mauern. Zum Winter aber kehrt fast alles heim, um im Nebel
von Hütten- und Hochöfendampf, nicht selten in verschneiter ärmlicher
Wohnung den sauer errungenen Verdienst mit Weib und Kind zu ver¬
zehren. Knaben von 12 bis 13 Jahren fahren entweder auf eigene
Faust oder als Gehilfen ihrer Väter mit Karren voll kleiner Handels¬
artikel in alle Welt, und manche Familie hat auf diese Art wohl ein
halbes Dutzend Söhne in der Fremde, während die Töchter daheim
klöppeln, spinnen u. s. w.
Nebel, welche die letzten Häuser kaum erkennen lassen, und die
höchstens in der Mittagsstunde weichen, kündigen dem Erzgebirger den
Winter an, der ihm gewöhnlich in der fürchterlichsten Gestalt erscheint;
denn wochenlang schneit es oft in einem fort, ja wohl in einer Nacht
so, daß man sich in den Dörfern aus den Häusern schaufeln, bisweilen
sogar aus dem Dache steigen muß, um einen Gang zur Hausthüre oder
Gucklöcher für die Fenster der Unterstuben zu schaffen, die meist düstern
Kellern gleichen. Ein 3 bis 7 Ellen hoher Schnee ist in strengeren
Wintern nicht selten, und Stürme, die nirgends fürchterlicher heulen,
bilden oft 20 bis 30 Ellen tiefe Windwehen, über welche der Gebirger,
gleich dem Lappländer, mit angeschnallten Fußbrettern oder Schneeschuhen
leicht hinweggleitet. Unglück zu verhüten, werden zwar Signalstangen
gesetzt, auch bei starkem Schneewetter dem Wanderer, besonders abends,
durch Glocken oder Trompeten Zeichen gegeben, in welcher Richtung er
zu waten habe. Doch vergeht selten ein Winter, wo nicht Menschen im
Schnee umkommen, und häufig sind die Fälle, daß Taufen aufgeschoben
werden müssen, weil Geistliche und Paten des Schneees wegen nicht zu
erlangen sind. Dessen ungeachtet heißt der Erzgebirger den Winter alle¬
mal freundlich willkommen; denn er bringt ihm eine seiner liebsten
Erscheinungen — Schlittenbahn, welche die Wege ebnet, Verkehr und
Geselligkeit befördert und gewöhnlich länger dauert, auch weit schöner
ist als im Niederlande. Man fährt nicht, sondern fliegt gleichsam der
Gefahr trotzend über Berg und Thal, und selbst Kinder gleiten in
Ruschelschlitten, meist zwei und zwei, die steilsten Höhen hinab. Über¬
haupt ist die Jugend dort weit abgehärteter als im Niederlande, und
oft wenn man hier schon nach Pelz und Mantel greift, springen dort
Kinder unter freiem Himmel barfuß in bloßen Hemden herum. So
spielen sie auch vor den Thüren, so begleiten sie, um eine Gabe bittend,
den Wagen des Reisenden. Sonderbar genug decken im Erzgebirge die
kleinsten Orte oft die größten Räume; denn die meisten Häuser liegen
weit aus einander, und mehrere also gebaute Städte ohne Gassen, wie