Full text: Dichtung des Mittelalters (Teil 1)

§ 9. Das Nibelungenlied. 
57 
Da sah der Fiedelspieler, jener kühne Mann, 
Die edle Königstochter von einer Stieg' heran 
Aus dem Hause nahen. Als er das ersah, 
Zu seinen Heergesellen sprach der kühne Volker da: 
„Nun schauet doch, Freund Hagen, wie sie dorten naht, 
Die uns ohne Treue ins Land geladen hat. 
Ich sah mit einer Königin nie so wohlbewehrt 
So manchen Recken gehen, an der Seite das Schwert. 
„Wisset Ihr, Freund Hagen, ob sie feind Euch sind? 
So will ich Euch raten, daß Ihr zu wahren sinnt 
Das Leben und die Ehre; fürwahr, das dünkt mich gut. 
Soviel ich kann bemerken, ist ihnen zornig der Mut. 
„Es ist auch mancher d'runter, dessen Brust so breit; 
Wer sich will behüten, der thu's zu rechter Zeit. 
Sie tragen lichte Panzer d'runter, wie mir scheint; 
Ich könnt' es niemand sagen, wer damit sei gemeint." 
Da hob in Zornesmute der kühne Hagen an: 
„Ich weiß wohl, es ist alles gegen mich gethan, 
D'rum tragen sie die lichten Waffen in der Hand. 
Vor denen käm' ich sicher noch ins burgundische Land. 
„Nun sagt mir, Freund Volker, denkt Ihr mir beizusteh'n, 
Wenn Kriemhildens Mannen im Kainpfe mich besteh'n? 
Das laßt mich vernehmen, so wahr ich lieb Euch bin; 
Ich steh' Euch immer wieder dienend bei mit treuem Sinn." 
„Ja, ich helf' Euch sicher," sprach der Spielmann. 
„Und sah' ich selbst den König gegen uns heran 
Mit seinen Recken nahen, so lang ich leben füll, 
Weich' ich von.Eurer Seite aus Furcht nicht einen Zoll." — 
„Nun lohn' Euch Gott im Himmel, edler Volker! 
Wenn sie mit mir streiten, was bedarf ich mehr? 
Da Ihr mir helfen wollet, wie Ihr mir kundgethan, 
So mögen diese Recken gewafsnet immerhin nah'n." — 
„Steh'n wir auf vom Sitze," sprach der Spielmann 
„(Sie ist doch eine Königin), sobald sie kommt heran. 
Laßt uns die Ehre bieten der edeln Königin. 
Das bringt ja uns beiden auch an Ehren Gewinn." — 
„Nein doch! mir zu Liebe," sprach da Hagen. 
„Es möchten diese Degen leicht sonst sagen, 
Daß ich aus Furcht es thäte, wollt' ich von hinnen geh'n. 
Ich will vor ihrer keinem auf von meinem Sitze steh'n.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.