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empor; dann sprach er wieder: „Wir heben unsere Hände empor
zu dir, o Allwissender! Sie sind rein von Blutschuld. Hier im
Lichte der Sonne bekennen wir: Wir sind rein von der That.
Die Gerechtigkeit aber wird nicht ausbleiben. Wo du auch weilest,
der du deinen Bruder in Waldesnacht erschlugst; das Schwert
schwebt unsichtbar über deinem Haupte, und es wird fallen und
dich zerschmettern. Kehr' um, so lange es noch Zeit ist. Häufe
nicht Frevel auf Frevel; denn einst, wenn sie ertönt, die Posaune
des Gerichts-"
Da plötzlich hörte man von der Straße herauf das Posthorn
erschallen. Das Lied erklang: „Denkst du daran." — Alles
schwieg und hielt den Athem an. — Aus der Mitte der Ver¬
sammlung stürzte ein junger Mann nieder und rief: „Ich bin's!"
— Nachdem man ihn aufgehoben, gestand er reumüthig seine
That, wie er in der Stadt das Geld des Herrn, bei dem er
diente, verspielt habe; wie er den Fremden, den er nur nieder¬
werfen wollte, ermordet habe; wie das Posthorn ihn verwirrt,
wie er seine Hand brennend gefühlt, wie er sie zum Himmel er¬
hob, und wie jetzt dieselben Töne des Posthorns ihm das Ge¬
ständnis abpreßten.
Still, ohne laute Klage, nur mit leisem Weh im Herzen,
hatte sich der Zug den Berg hinab bewegt; mit zitternder Seele,
Thränen in den Augen, laut das Unheil beklagend, kehrten Viele
heim. Zwei Menschen waren auf ewig aus der Genossenschaft
der Menschen geschieden. B. Auerbach.
95. vis Sonne bringt es an den Tag.
1. Gemächlich in der Werkstatt sass
Zum Frühtrunk Meister Nicolas,
Die junge Hausfrau schenkt ihm ein,
Es war im heitern Sonnenschein. —
Die Sonne bringt es an den Tag.
2. Die Sonne blinkt von der Schale Rand,
Malt zitternde Kringeln an die Wand,
Und wie den Schein er in's Auge fasst,
So spricht er für sich, indem er erblasst:
Du bringst es doch nicht an den Tag.
3. Wer nicht? was nicht? die Frau fragt gleich,
Was stierst du so an? was wirst du so bleich?
Und er darauf: sei still, nur still;
Ich s doch nicht sagen kann, noch will.
Die Sonne bringt’s nicht an den Tag.