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II. Lehrende Prosa: Poetik und Ästhetik.
Die pathetische Satire muß jederzeit aus einem Gemüte fließen, welches
von dem Ideale lebhaft durchdrungen ist. Äußere und zufällige Ein-
flüffe, welche immer einschränkend wirken, dürfen höchstens nur die Rich¬
tung bestimmen, niemals den Inhalt der Begeisterung hergeben. Dieser
muß in allen derselbe sein und rein von jedem äußern Bedürfnis aus einem
glühenden Triebe für das Ideal hervorfließen, welcher dnrchaus der einzig
wahre Beruf- zu dem satirischen wie überhaupt zu dem sentimentalischen
Dichter ist.
Wenn die pathetische Satire nur erhabene Seelen kleidet, so kann
die spottende Satire nur einem schönen Herzen gelingen. Denn jene ist
schon durch ihren ernsten Gegenstand vor der Frivolität gesichert: aber
diese, die nur einen moralisch gleichgültigen Stoff behandeln darf, würde
unvermeidlich darein verfallen und jede poetische Würde verlieren, wenn
hier nicht die Behandlung den Inhalt veredelte und das Subjekt des
Dichters nicht sein Objekt verträte. Aber nur dem schönen Herzen ist es
verliehen, unabhängig von dem Gegenstände seines Wirkens, in jeder
seiner Äußerungen ein vollendetes Bild von sich selbst abzuprägen. Der
erhabene Charakter kann sich nur in einzelnen Siegen über den Wider¬
stand der Sinne, nur in gewissen Momenten des Schwunges und einer
augenblicklichen Anstrengung knndthun; in der schönen Seele hingegen
wirkt das Ideal als Natur, also gleichförmig, und kann mithin auch in
einem Zustande der Ruhe sich zeigen. Das tiefe Meer erscheint am er¬
habensten in seiner Bewegung, der klare Bach am schönsten in seinem
ruhigen Laufe.
Es ist mehrmals darüber gestritten worden, welche von beiden, die
Tragödie oder die Komödie, vor der andern den Rang verdiene.
Wird damit bloß gefragt, welche von beiden das wichtigere Objekt be¬
handle, so ist kein Zweifel, daß die erstere den Vorzug behauptet; will
man aber wissen, welche von beiden das wichtigere Subjekt erfordere, so
möchte der Ausspruch eher für die letztere ausfallen. — In der Tragödie
geschieht schon durch den Gegenstand sehr viel, in der Komödie geschieht
durch den Gegenstand nichts, und alles durch den Dichter. Da nun bei
Urteilen des Geschmacks der Stoff nie in Betrachtung kommt, so muß
natürlicherweise der ästhetische Wert dieser beiden Kunstgattungen in um-
- gekehrtem Verhältnisse zu ihrer materiellen Wichtigkeit stehen. Den tragi¬
schen Dichter trägt sein Objekt, der komische hingegen muß durch sein
Subjekt das seinige in der ästhetischen Höhe erhalten. Jener darf einen
Schwung nehmen, wozu so viel eben nicht gehört; der andere muß sich
gleich bleiben, er muß also schon dort sein und dort zu Hause sein, wohin
der andere nicht ohne einen Anlauf gelangt. Und gerade das ist es, worin
sich der schöne Charakter von dem erhabenen unterscheidet. In dem ersten