Full text: Dichtung der Neuzeit (Teil 2)

186 Siebte Periode oder zweite Blüteperiode, von 1748 ab. 
und auch seine Zeit davon befreien, so erreichte er hinsichtlich des letzteren 
Zweckes fast nur das Gegenteil, denn das mit schwärmerischer 
Begeisterung aufgenommene, in fast sämtliche Sprachen übertragene 
Buch erzeugte das sog. „Wert her sieb er", eine Steigerung jener krank¬ 
haften Sentimentalität und jener aus überreizter Empfindsamkeit entsprin¬ 
genden friedlosen, todessehnsüchtigen Gemütsstimmung. 
Im Jahre 1794 erschien die Übertragung des „Reineke Fuchs" 
in Hexametern (vgl. Teil I, § 27, S. 221). Nach Grimms Urteil folgt 
sie im allgemeinen treu dem Original, entbehrt aber der „natürlichen, 
einfachen Vertrautheit" des alten Epos; jedoch ist „in dem heiter bewegten 
Leben der Tierwelt, deren Schmerzen selbst uns noch komisch erscheinen, 
ein lachendes Bild des leidenschaftlichen, ränkevollen Menschentreibens farben¬ 
reich ausgeführt". 
Zwei Jahre später (1796) folgte der Roman „Wilhelm Meisters 
Lehrjahre", an welchem der Dichter eine ganze Reihe von Jahren ge¬ 
arbeitet hatte. Der Roman ist in gewisser Beziehung ein Selbstbekenntnis 
Goethes, ein Spiegelbild der Empfindungen der damaligen Zeit. Wilhelm 
Meister, ein junger, reicher Kaufmann, voll sentimentaler Schwärmerei, 
aber ohne Erfahrung, sucht bei einer Wandertruppe von Schauspielern in 
buntem Wechsel des Lebens Erziehung und Bildung. Künstlerische Einheit 
fehlt dem Werke, wie Goethe selbst zugesteht, dafür bietet es aber eine 
Menge lebensvoller Gestalten, eine treffliche Schilderung der verschiedenen 
Berufsarten und Stände, und eine reiche Fülle poetischer Schönheiten und 
tiefer Gedanken über die Kunst, namentlich über die dramatische Poesie, 
und über das Theaterwesen. Aber die geschilderten Verhältnisse passen 
nicht für die Jugend, zumal die positiven Elemente des sittlichen 
Lebens, als Familie, Staat, Vaterland, Religion, fehlen. Bekannte 
episodische Gestalten in demselben sind Mignon und der Harfner (herrlich 
die Lieder: „Nur wer die Sehnsucht kennt" — „Kennst du das Land, 
wo die Zitronen blühn?" — „Wer nie sein Brot mit Tränen aß"). 
Von wichtigster Bedeutung ist „Hermann und Dorothea"^ ein 
in Hexametern geschriebenes bürgerliches, mit idyllischen Schilderungen 
durchsetztes und auf mächtigem historischen Hintergründe beruhendes Epos 
(1798). Ein in der Schrift „Das liebtätige Gera gegen die salz¬ 
burgischen Emigranten" aus dem Jahre 1732 erzählter und in die 
damalige Gegenwart der französischen Revolution versetzter Vorgang bildet 
den Stoff der Dichtung. 
Vgl. Teil III, S. 156: „Hermann und Dorothea" von Schlegel.
	        
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