Full text: Dichtung der Neuzeit (Teil 2)

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Siebte Periode oder zweite Blüteperiode, von 1748 ab. 
V. Polyhymnia. — Der Weltbürger. 
Polyhymnia, die Gesangreiche, Muse der Beredsamkeit und der hehren, er¬ 
habenen Dichtung, gewählt wohl in Rücksicht auf den ernsten, fast religiösen Ton des 
Gesanges; Weltbürger entweder den Pfarrer oder besser den Richter bezeichnend. 
VI. Klio. — Das Zeitalter. 
Klio, die Verkünderin, die Muse der Geschichte, gewählt wegen des geschichtlichen 
Inhaltes dieses Gesanges, den auch die Überschrift „Das Zeitalter" andeutet. 
VII. Erato. — Dorothea. 
Erato, die Liebliche, Muse der erotischen Dichtung, in Beziehung auf die 
Werbung Hermanns; genauere Zeichnung Dorotheas. 
VIII. Melpomene. — Hermann und Dorothea. 
Melpomene, die Singende, Muse des Trauerspiels, vielleicht vom Dichter 
gewählt, um hinzuweisen auf die angstvolle Stimmung Hermanns, da er der 
Liebe Dorotheas nicht sicher ist. 
IX. Urania. — Aussicht. 
Urania, die Himmlische, Muse der Astronomie, wohl andeutend das selige 
Glück der vereinten Liebenden; Aussicht hinweisend auf den glücklichen Ausgang 
der Dichtung und voraussichtlich auch der französischen Revolution. 
Durch Vossens „Luise" (s. S. 87) zu dieser Dichtung angeregt, hat 
Goethe ein nationales Werk geschaffen, welches nicht allein „die großen 
Bewegungen und Veränderungen des Welttheaters aus einem kleinen 
Spiegel zurückwirft", sondern auch in klarer Anschaulichkeit und voller 
Natürlichkeit ein schönes Bild echt deutschen Lebens zeichnet, wie es sich 
in der bürgerlichen Familie einer kleinen Stadt abspielt. Die Handlung 
schreitet nach der Exposition (I. Gesang) trotz einzelner Episoden und 
retardierender Momente schnell fort; sie enthält zwei Konflikte 
(II. und IX. Gesang), die beide eine glückliche Lösung finden (V. und 
IX. Gesang). Die folgerichtige Entwicklung beruht auf den Charakteren 
und zwar auf ihrer Bestimmtheit und Verschiedenheit. 
Die Charaktere, dem wirklichen Leben entnommen, sind reich an 
innerer Wahrheit. Der Wirt, behäbig, gutmütig und mildtätig, aber 
etwas selbstgefällig und dem Fortschritt huldigend, als Gatte liebevoll und 
als Vater für den Sohn besorgt, der mehr werden soll als er selbst; 
neben ihm seine sorgsame Gattin, die treffliche, stets tätige, sparsame 
und doch weichherzige Hausfrau, die zärtlich liebende, vermittelnde Mutter, 
die, wenn auch schlicht und einfach, dennoch in kluger Beharrlichkeit ihr 
Ziel zu erreichen versteht; Hermann, ein Muster ungebrochener Volks¬ 
kraft der Deutschen, arbeitsam und gediegen, wenn auch schlicht und etwas 
schüchtern, im Besitze der Geliebten gereift, starkmutig und aufopferungs-
	        
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