194 Siebte Periode oder zweite Blüteperiode, von 1748 ab.
D. Fallende Handlung (V, 1—4). Egmo nt unrettbar verloren.
Erste Stufe. Vergebliche Bemühungen Klärchens, den Ge¬
liebten zu befreien; Egmonts Hoffnung.
a) Klärchen, von Vrackenburg vergebens zurückgehalten, bemüht sich nutzlos,
das Volk zur gewaltsamen Befreiung Egmonts zu entflammen (V, 1).
b) Egmont kann vor Sorgen und schweren Ahnungen im Gefängnis keinen
Schlaf finden; noch immer hofft er aus Rettung durch die Gerechtigkeit des Königs,
durch die Regentin, seine Freunde und das Volk (Monolog, V, 2).
Zweite Stufe. Egmonts Verurteilung entscheidet auch über
Klärchens Leben; Egmont findet nach der Verkündigung des
Todesurteils in Ferdinand einen Freund.
a) Katastrophe der Nebenhandlung. Auf Brackenburgs Mitteilung
von der Verurteilung und der bevorstehenden Hinrichtung Egmonts geht Klärchen
kühn entschlossen („Sprich gelassen auch mein Todesurteil!") in den Tod durch einen
Eifttrunk. Brackenburgs Verzweiflung (V, 3).
b) Egmont vernimmt das Todesurteil und findet in dem zurückgebliebenen
Ferdinand einen edlen Freund; dieser kann ihm Hoffnung aus Rettung nicht geben,
benimmt ihm aber die Sorge um sein Klärchen (V, 4).
E. Katastrophe. Im Traume sieht Egmont die Freiheit in der Gestalt
Klärchens, die ihm durch einen Lorbeerkranz den Sieg der Freiheit verkündet.
Mutvoll geht er zur Hinrichtung den spanischen Trabanten voraus; er schreitet aus
dem Kerker einem ehrenvollen Tod entgegen; denn er stirbt für die Freiheit, für
die er lebte und focht (V, 4).
Das Stück rückt uns, wenn auch einzelne Szenen nur locker miteinander
verknüpft sind, eine große Zeit lebendig vor Augen, enthält farben¬
kräftige Bilder des niederländischen Volkes, ist voll des Reizes
reichster Lebenswahrheit und zieht an durch das auf der Bühne
besonders wirkungsvolle Liebesidyll Egmonts und Klärchens.
Das Urteil über das Drama war ein verschiedenes; errang es durch
jene trefflichen, nach Shakespeares Muster gebildeten Volksszenen, be¬
sonders aber durch die Liebesszenen vielseitige Anerkennung, so erfuhr
es doch auch mannigfache Anfechtung, namentlich von Schiller, der die
Schlußerscheinung Klärchens, weil sie die „hohe sinnliche Wahrheit" in
den übrigen Teilen des Stückes „mutwillig zerstöre", scharf tadelte und
die Schlußallegorie einen „Salto mortale in die Opernwelt" nannte.
Auch mißbilligte er die Abweichung Goethes von der geschicht¬
lichen Wahrheit; dieser hatte seinen Helden in bewußtem Gegensatz zur
Geschichte dargestellt, indem er als Grund angab: „Zu meinem Gebrauche
mußte ich ihn in einen Charakter umwandeln, der solche Eigenschaften
besaß, die einen Jüngling besser zieren als einen Mann in Jahren, einen
Unbeweibten besser als einen Hausvater, einen Unabhängigen mehr als einen,
der, noch so frei gesinnt, durch mancherlei Verhältnisse begrenzt ist. Als ich
ihn so in meinen Gedanken verjüngt und von allen Bedingungen losgebunden