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SI* Lyri s ch e s.
Die drei Hauptformen der Lyrik waren: 1) Lied (mit gleichmäßigen Strophen); 2, Leich (wechselndes SöecSniat);
3) Spruch (einzelne Strophe). Die Strophe bestand geivöhnlich aus drei Theilen: aus zwei unter sich gleichen
Stollen und dem Abgesang; sie sind im Folgenden durch große Anfangsbuchstaben bezeichnet.
Dietmar von Stift.
(Aus dem Thurgau; um 1150.)
1. Frühlingslust.
Abi, nü kumt uns diu zit,
der kleinen vogelline sanc,
ez gruonet wol diu linde breit,
zergangen ist der winter lanc:
nü siht man bluomen wolgetän,
an der beiden üebent si ir scliin:
daz wirt vil manic herze vrö;
des selben troestet sich daz min.
2. Die Sehnende.
Ez stuont ein vrouwe alleine
unt warte über beide
unt warte ir liebes;
so gesacli si valken vliegen.
»so wol dir, valke, daz du bist!
du vliugest swar dir lieb ist;
du erkiusest dir in dem walde
einen boum, der dir gevalle;
also hän ouch ich getan:
ich erkös mir selben einen man,
den erweitert miniu ougen;
daz nident schöne vrouwen:
owe, wan laut si mir min liep?
jo engerte ich ir dekeiner trütes niet.«
»So wol dir, sumerwunne!
daz vogelsang ist geswunden,
alse ist der linden ir loup,
järlanc truobent mir ouch
miniu wol Stenden ougen.
min tritt, du solt dich glouben
anderre wibe:
wan, heit, die solt du miden.
dö du mich erste sähe,
dö dühte ich dich ze wäre
so rehte minnecliche getan:
des man ich dich, lieber man!«
Spervoget.
(Unbekannt; um 1170.)
1. Wcihnachtslied.
Er ist gewaltic unde Stare,
der ze winnaht geborn wart:
Daz ist der heilige Krist.
ja lobt in allez, daz dir ist,
Niewan der tievel eine:
dur sinen grözen übermuot,
so wart ime diu helle ze teile.
In der helle ist michel uurät:
swer da heimuote hat,
Diu sunne schinet nie so lieht,
der mäne hilfet in nieht,
Noch der liebte sterne:
jâ rnüet in allez, daz er siht;
ja waer er da ze himel also gerne.
In himelrich ein hiis stät,
ein guldîn wec dar in gät,
Die siule die sint mermeliD,
die zieret unser trehttn
Mit edelen gesteine:
dä enkumt nieman in,
er ensi von allen Sünden also reine.
8wer gerne zuo der kilchen gät,
und âne nit da stät,
Der mac wol vrôlîchen leben:
dem wirt ze jungest gegeben
Der engel gemeine,
wol im, daz er ie wart:
ze himel ist daz leben also reine.
Ich hän gedienet lange
leider einem manne,
Der in der helle umbe gät :
der brüevet mine missetât,
Sin Ion der ist boese.
hilf mir, heiliger geist,
daz ich mich von siner vanenisse loese.
2. Bsterlied.
Krist sich ze marterenne gap,
er lie sich legen in ein grap:
Daz tet er dur die goteheit:
da mit löst er die kristenheit
Yon der heizen helle.
er getuot ez niemer mêr!
dar an gedenke, swer so der welle.
An dem österlichem tage
dö stuont sich Krist üz dem grabe,
Künic aller keiser,
vater aller weisen;
Sine hantgetät er löste.
in die helle schein ein lieht:
dö kom er sinen kinden ze tröste.
3. Lobspruch.
Würze des waldes
und erze des goldes
Und elliu apgründe
diu sint dir, hêrre, künde,
Diu stênt in dîner hende;-
ellez himeleschez her
daz enmöhte dich niht volloben an ein ende.