Full text: Handbuch für den deutschen Unterricht in den oberen Klassen der Gymnasien (Theil 2)

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F. ©. Klopstock. (1724-1803.) 
85. Geh, Elender, damit dich nicht schnell, wo du ferner verweilest, 
Gottes Gnadenstuhl mit dem heiligen Feuer verzehre. 
Also sagt' er. Ich floh und kam mit zerfliegenden Haaren 
Und mit Asch' auf dem Haupte, gewandlos, entstellt und verwildert 
Unter das Volk. Da stürmte das Volk und wollte mich tödten. 
90. Da erwacht' ich. Drei Stunden voll Qual, drei ängstliche Stunden 
Hab' ich seitdem, wie sinnlos, im Todesschweiße gelegen. 
Und noch beb' ich, noch zittert mein Herz von geheimem Schauer, 
Und, der Stimme beraubt, erstarrt mir die Zung' im Munde! 
Cr muß sterben! Von euch, versammelte Väter, erwart' ich, 
95. Wie er sterben soll, schleunigen Rath!" Mit starrendem Blicke 
Stand er hier sprachlos. Endlich erwacht' er wieder und sagte: 
„Besser tödten wir Einen, als daß wir alle verderben! 
Aber auch dieses gebeut die Weisheit: Die Tage des Festes 
Muß er nicht sterben, daß ihn sein sklavischer Pöbel nicht schütze." 
100. Kaiphas schwieg. Kein Laut, noch Geräusch von Redenden wurde 
Durch die Versammlung gehört. Sie blieben alle verstummend 
Sitzen und wie von dem Donner gerührt, hinstarrende Lasten. 
Joseph sah die herrschende Stille. Da wollt' er für Jesus, 
Ihn zu vertheidigen, reden; allein ein gefürchteter Priester, 
105. Seine Wuth, mit welcher er schnell zu reden hervortrat, 
Schreckten ihn. Philo war des Priesters Name. Noch hatt' er 
Nie von Jesus geredet, zu stolz, vor der Reise der Sachen 
Unentscheidend zu reden. Ihn hielten alle für weise, 
Kaiphas selbst; doch haßt' ihn der pharisäische Philo. 
110. Der stand auf. Sein tiefes und melancholisches Auge 
Funkelte. Jetzo sprach er mit zorniggeflügelter Stimme: 
„Kaiphas! du wagst es, uns hohe, göttliche Träume 
Herzuerzählen, als wüßtest du nicht, daß der Ewige niemals 
Wollüstlingen erscheinen, daß heimlichen Sadducäern 
115. Wohl kein Geist was verkündigen wird. Entweder du leugst uns, 
Oder du sahst das Gesicht, Gott ließ so tief sich herunter! 
Ist das Erste, so zeigst du dich deiner römischen Staatskunst 
Und des erhandelten Priesterthums werth; und, wär' auch das Letzte, 
Hoherpriester! so wisse, daß Gott, Verbrecher zu strafen, 
120. Sonst auch täuschende Geister zu falschen Propheten gesandt hat. 
Daß der Sklav' von Jesabel's Baal, daß Ahab verderbe, 
Daß nicht länger zu Gott das Blut des Getödteten rufe, 
Steigt ein Todesengel vom Thron und gibt dem Propheten 
Falsche Prophezeiung! und siehe, die rollenden Wagen 
125. Trugen den sterbenden Ahab zurück. Er starb, und sein Blut floß 
Hin in das Feld, wo Rabat erwürgt ward, ins Feld, wo Gott stand, 
Und der Todesengel vor Gott des Mordenden Blut goß. 
Aber dein Traum gebeut ja, den Widersacher zu strafen! 
Du hast keinen gehabt! doch mit Weisheit hast du erfunden. 
130- Aber zitterst du nicht, da ich den furchtbaren Namen 
Eines Todesengels dir nenne? Vielleicht, daß ein solcher 
Schon dein bald zu vergießendes Blut vor des Ewigen Thron wägt! 
Nicht als ob ich für schuldlos hielte den schuldigen Jesus! 
Gegen den Nazaräer bist du ein kleiner Verbrecher, 
135. Du entweihest das Heiligthum nur; er will es zerstören. 
Ihm ist in der richtenden Wage, die oft Verbrecher, 
Oft schon hochgethürmte Bezwinger der Völker zu leicht fand, 
Eh' er wurde, sein Blut zum gewissen Tode gewogen! 
Er soll sterben! und ich, ich will es mit meinen Augen 
140. Sehen, wenn er erstarrt! Von dem Hügel, wo er erwürgt wird, 
Will ich die Erde mit Blut bedeckt ins Heiligthum tragen 
Oder noch rauchende Steine von Blut an dem hohen Altare 
Niederlegen, Abraham's Volk ein ewiges Denkmal! 
Niedrige Furcht, die uns beugt, den wankenden Pöbel zu scheuen!
	        
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