Jung Stilling. (1740—1817.)
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Joh. Heinrich Jung, genannt Stilling.
(1740-1817.)
Geb. am 12. September 1740 zu Grund im Rassauischen, erlernte das Sckneiverhandwerk. studirte Medicin in
Strcchburg, wo er mit Goethe bekannt wurde, ward Arzt in Elberfeld, Professor in Heidelberg und starb 1817.
Am bekanntesten ^ „StiUing's Jugend, Jünglinqsjahre und Wanderschaft" (1777), voll religiöser Innigkeit uno
Gemüthstiefe. Seine späteren Schriften beivegen sich besonders um die Geisterwelt.
Dir Sündslut.
Mit tief empfundnem Sehnen
Blick' ich hinauf zu dir!
O Vater, nimm die Thränen
Zum Opfer an von mir!
Die Sünden-Gräuel steigen
Zum Himmel fürchterlich,
Und deine Kinder neigen
Gebeugt zum Staube sich.
So wie vor alten Zeiten
Die erste Menschenschaar
Im Taumel wilder Freuden
Und Lust versunken war:
So sind auch wir versunken;
Den Taumelbecher hat
Europa ausgetrunken,
Und wird doch nimmer satt-
Man aß und trank und freite,
Und fragte dann nach nichts;
Es lachten diese Leute
Des drohenden Gerichts.
Ganz unerwartet hüllte
Die Luft in Dunkel sich,
Und schwarzer Donner brüllte
Von ferne fürchterlich.
Das war schon oft geschehen,
Man schmaus'te sicher fort;
Des Sturmwinds heulend Wehen,
Erschütt'rung hier und dort,
Das waren lauter Sachen
Der wirkenden Natur,
Des kann der Starke lachen,
Der Feige fürchtet nur.
Die Arche Noah's blicken
Sie jetzt noch spottend an,
Die Wolken-Berge rücken
Indessen schnell heran.
In unerhörten Güssen
Stürzt ab ein Wolken-Meer;
Man sieht an See'n und Flüssen
Nun keine Gränzen mehr.
Das hat noch nichts zu sagen,
Man flieht, man rettet sich.
Denn seht in wenig Tagen
Verläuft das Wasser sich.
Allein es nimmt kein Ende,
Schon jedes Thal ist See,
Sie spielt am Berggelände,
Nun hört man Angst und Weh.
Man flieht aus Berg und Hügel,
Man klimmt an Bäuinen auf.
Das girrende Geflügel,
Das Wild in vollem Lauf,
Und Löwen, Tiger, Schlangen
Gesell'n zu Menschen sich.
Es tönt die Luft vom bangen
Geheule fürchterlich.
Die letzten Seufzer steigen
Zu dir, o Gott! empor.
Und nun herrscht tiefes Schweigen,
Die Sonne bricht hervor.
Die Arche Noah's schwebet
Auf dieser wilden Flut,
Ein Hoffnungsstrahl belebet
Den fast gesunknen Muth.
Merkt auf, ihr Zeitgenossen!
Noch weilt die Gnadenfrist.
Bald ist die Zeit verflossen,
Wo noch Erbarmen ist.
Eilt, fallt ihm in die Ruthe,
Dem hocherzürnten Gott,
Und treibt mit Christi Blute
Und Tod nicht ferner Spott!
Ach, Vater! Vater! schone,
Erbarm' dich unser doch
In Jesu, deinem Sohne;
Es gibt doch viele noch,
Die so wie Noah lieben
Von ganzem Herzen dich;
Und Trillionen üben
In Lieb' und Demuth sich.
Hingabe an Gott.
Herr, zeig mir stets die rechte Spur!
Wann die Vernunft sucht eigne Pfade
Und widerstrebet deiner Gnade,
So folg' ich deinem Willen nur!
Gebeut, o Herr, und lehre mich
Nur immer dein Gebot recht kennen;
Laß mich vom heil'gen Eifer brennen,
Für nichts zu leben, als für dich!
Verkünd'gen will ich nur dein Wort,
Mit eigner Weisheit mich nicht brüsten;
! Dein Kreuz zu tragen stets mich rüsten,
Dir treulich folgen fort und fort!
Und ruhen will ich, wenn du ruhst,
Nur wirken, wenn dein hoher Wille
Mich winkt aus meiner dunklen Stille!
Nur gut ist, was du willst und thust.