Goethe (1749-1832.)
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Sich gegen die Schranken
Des ehernen Fadens,
Den die doch bittre Scheere
Nur einmal lös't.
In Dickichts-Schauers
Drängt sich das rauhe Wild,
Und mit den Sperlingen* 6 7)
Haben längst die Reichen
In ihre Sümpfe sich gesenkt.
Leicht ist's folgen dem Wagens,
Den Fortuna führt,
Wie der gemächliche Troß
Auf gebesserten Wegen
Hinter des Fürsten Einzug.
Aber abseits, wer ift’S8 11)?
Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche zusammen,
Das Gras steht wieder aus,
Die Oede verschlingt ihn.
Ach, wer heilet die Schmerzen8)
Des, dem Balsam zu Gift ward?
Der sich Menschenhaß
Aus der Fülle der Liebe trank!
Erst verachtet, nun ein Verächter,
Zehrt er heimlich auf
Seinen eignen Werth
In ungenügender Selbstsucht.
Ist auf deinem Psalter"),
Vater der Liebe, ein Ton,
Seinem Ohr vernehmlich,
So erquicke sein Herz!
Oeffne den umwölkten Blick
Ueber die tausend Quellen
Neben dem Durstenden
In der Wüste.
Der du der Freuden viel schaffst"),
Jedem ein überfließend Maß,
Segne die Brüder der Jagd,
Auf der Fährte des Wilds
Mit jugendlichem Uebermuth
Fröhlicher Mordsucht,
Späte Rächer des Unbilds,
Dem schon Jahre vergeblich
Wehrt mit Knitteln der Bauer.
ders ein junger Mann auffiel, welcher schreibselig-beredt und dabei^'so ernstlich durch¬
drungen von Mißbehagen und selbstischer Qual sich zeigte, daß es unmöglich war, nur
irgend eine Persönlichkeit zu denken, wozu diese Seel-Enthüllungen passen möchten. Alle
seine wiederholten zudringlichen Aeußerungen waren anziehend und abstoßend zugleich,
daß endlich, bei einer immer aufgeforderten und wieder gedämpften Theilnahme, die
Neugier rege ward, welchen Körper sich ein so wunderlicher Geist gebildet habe. Ich
wollte den Jüngling sehen, aber unerkannt, und deshalb hatte ich mich eigentlich auf
den Weg begeben."
5) „Der Reisende gelangt auf die nächsten Bergeshöhen; immer winterhafter zeigt sich die
Landschaft, einsam und öde starrt alles umher, nur flüchtiges Wild deutet auf kümmer¬
lichen Zustand. Nun blickt er über gefrorene Teiche, Seen, auch eine Stadt kommt ihm
zu Gesicht."
6) „Wer seine Bequemlichkeit aufopfert, verachtet gern diejenigen, die sich darin behagen.
Jäger, Soldaten, mühsam Reisende bedürfen gutes Muthes, der sich leicht zu Ueber¬
muth steigert. Unser Reisender hat alle Bequemlichkeiten zurückgelassen und verachtet
die Städter, deren Zustand er gleichnißweise schmählich herabsetzt. Wahrscheinlich ist
ein wundersamer Druckfehler daher entstanden, daß Setzer oder Corrector die Reichen,
die ihm keinen Sinn zu geben schienen, in Reiher verwandelte, welche doch auf einiges
Verhältniß zu den Rohrsperlingen hindeuten möchten. In der vorletzten Ausgabe stehen
jene, diese in der letzten."
7) „Der Dichter kehrt wieder zu seiner eigenen günstigen Lebensepoche zurück, ohne sich
irgend ein Verdienst anzumaßen; ja, er spricht von den augenblicklichen Glücksvortheilen
beinahe mit Geringschätzung."
8) „Das Bild des einsamen, menschen- und lebensfeindlichen Jünglings kommt ihm wieder
in den Sinn, er malt sich's aus."
9) „Er fährt fort, ihn zu beklagen."
10) „Seine herzliche Theilnahme ergießt sich im Gebet. Die Auslegung dieser Strophen ist
meinem freundlichen Commentator besonders gelungen; er hat das Herzliche derselben
innigst gefühlt und entwickelt."
11) „Der Dichter wendet seine Gedanken zu Leben und That hin, erinnert sich seiner eng¬
verbundenen Freunde, welche gerade in dieser Jahreszeit und Witterung eine bedeutende
Jagd unternehmen, um das in gewisser Gegend sich mehrende Schwarzwildpret zu be¬
kämpfen. Eben diese Lustpartie war es, welche jene vertraute Gesellschaft aus der Stadt
zog, dem Dichter Raum und Gelegenheit zu seiner Wanderung darbietend. Er trennte
sich mit dem Versprechen, bald wieder unter ihnen zu sein."