Full text: Lesebuch für die Mittelklassen katholischer Volksschulen

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von Zeit zu Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das 
Schloß dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn 
die Dornen hielten fest zusammen, als hätten sie Hände, und die 
Jünglinge blieben darin hangen, konnten sich nicht wieder los— 
machen und starben eines jämmerlichen Todes. 
Nach langen, langen Jahren kam wieder einmal ein Königs— 
sohn in das Land und hörte, wie ein alter Mann von der Dorn— 
hecke erzählte; es sollte ein Schloß dahinter stehen, in dem eine 
wunderschöne Königstochter, Dornröschen genannt, schon seit hun— 
dert Jahren schliefe, und mit ihr schliefen der König und die Köni— 
gin und der ganze Hofstaat. Er wußte auch von seinem Groß— 
vater, daß schon viele Königssöhne gekommen wären und versucht 
hätten, durch die Dornhecke zu dringen; aber sie wären darin han— 
gen geblieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der 
Jüngling: „Ich fürchte mich nicht; ich will hinaus und das schöne 
Dornröschen sehen.“ Der gute Alte mochte ihm abraten, wie er 
wollte, er hörte nicht auf seine Worte. 
Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen, und der 
Tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen sollte. Als 
der Königssohn sich der Dornenhecke näherte, waren es lauter große 
schöne Blumen; die taten sich von selbst auseinander und ließen ihn 
unbeschädigt hindurch, und hinter ihm taten sie sich wieder als eine 
Hecke zusammen. Im Schloßhofe sah er die Pferde und die 
scheckigen Jagdhunde liegen und schlafen; auf dem Dache saßen die 
Tauben und hatten das Köpfchen unter den Flügel gesteckt. Und 
als er ins Haus kam, schliefen die Fliegen an der Wand; der 
Koch in der Küche hielt noch die Hand, als wollte er den Jungen 
anpacken, und die Magd saß vor dem schwarzen Huhne, das sollte 
gerupft werden. Da ging er weiter und sah im Saal den ganzen 
Hofstaat liegen und schlafen, und oben bei dem Throne lagen der 
König und die Königin. Da ging er noch weiter, und alles war 
so still, daß einer seinen Atem hören konnte, und endlich kam er 
zu dem Turm und öffnete die Tür zu der kleinen Stube, in welcher 
Dornröschen schlief Da lag es und war so schön, daß er die 
Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm 
einen Kuß. Da schlug Dornröschen die Augen auf, erwachte und 
blickte ihn ganz freundlich an. Nun gingen sie zusammen hinab, und 
der König erwachte und die Königin und der ganze Hofstaat und 
sahen einander mit großen Augen an. Und die Pferde im Hofe 
standen auf und rüttelten sich; die Jagdhunde sprangen und wedel— 
ten; die Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unterm Flügel 
„hervor, sahen munter umher und flogen ins Feld; die Fliegen an
	        
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