Full text: Sieben Bücher deutscher Dichtungen

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Dichtungen der Gegenwart. 
Der hohe Fels am Rheine 
Ist greisen Königs Thron, 
Der ries'gen Ebenharfe 
Entlockt er ernsten Ton. 
Und wenn die Harfe dröhnet, 
Wenn dumpf die Stimme schallt, 
Dann peitscht Gewitterwolken 
Der Sturmwind mit Gewalt; 
Dann kreuzen falbe Blitze, 
Wild wogend schäumt der Rhein, 
Und bange zieht der Schiffer 
Des Rachens Segel ein. 
Er singt die alte Märe 
Vom Nibelungen-Hort, 
Von Frau Brunhildens Rache, 
Und Hürnin- Siegfrieds Mord. 
Es ist der König Gunthar, 
Der dort verzaubert ist 
Und keine Ruhe findet, 
Seit Siegfried fiel durch List. 
Den hohen Fels am Rheine 
Erklimmt ein junger Hirt. 
In düstern Bergesschluchten 
Hat sich ein Lamm verirrt. 
In Strömen schießt der Regen, 
Laut heult des Sturms Gesaus — 
Das Schäflein muß er finden, 
Sonst kehrt er nicht nach Haus. 
Und suchend, spähend, lockend 
Steigt er den Gipfel an: 
Da steht der Kuab' erschrocken 
In greisen Königs Bann. 
„Wie kannst du dich erkühnen. 
Du keckes Menschenbild, 
Dich meinem Thron zu nahen?" 
So zürnt der König wild. 
Da drängen sich 
Herbei von n 
Und huldigen 
Als ihrem ju 
„Wenn ich zur Harfe singe 
Hinaus in Wind und Sturm. 
Wagst du dich mir zu nähern, 
Du frecher Erdenwurm?" 
Erzitternd nennt's der Knabe, 
Was an verfehmten Ort 
Ihn führte, und der König 
Winkt streng den Buben fort. 
„So schenke Gott euch Frieden!" 
Spricht drauf der Knab' im Gehn. 
Da tönt des Greises Stimme 
Gar freundlich: „Bleibe stehn!" 
Verschwunden ist das Zürnen 
Im eisernen Gesicht; 
Gefurchte Wange lächelt, 
Mild strahlt der Augen Licht. 
„Bleib stehen, guter Knabe! 
Du sprachst ein Friedenswort. 
Geendet ist die Buße 
Für meines Schwähers Mord." 
Die dunkeln Wolken fliehen, 
Der Abendsonne Schein 
Vergoldet Berg und Fluren 
Und spiegelt sich im Rhein. 
„Und reich will ich vergelten," 
Fährt drauf der König fort. 
Daß harten Zauber löste 
Dein friedenbringend Wort. 
So weit dein Auge reichet, 
Sei alles, alles dein. 
Und Berg und Wald und Fluren 
Gehören dir allein." 
Das Königsbild zerfließet 
Wie Rauch im luft'gen Raum. 
Den Hirtenknaben dünkt es 
Ein fabelhafter Traum. 
iel Tausend 
und fern, 
dem Knaben 
Herrn. 
Franz u. Gaudh. 
Lätitia. 
(Aus den „Kaiserliedern".) 
An des Kapitoles Schwelle ragt vereinzelt in die Luft 0 
Eine Marmorsäule, träumend schweigsam auf der Trümmergruft. 
Staub bestreut die andern alle; sie allein erhebt, umlaubt 
Von des Epheus Witwenschleier, ihr vom Blitz verschontes Haupt.
	        
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