Full text: Grundlagen der deutschen Litteraturkunde (Abt. B)

Hans Sachs: Sankt Peter mit der Geiß. 
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Hans Sachs. 
Geboren am 5. November 1494 zu Nürnberg, besuchte die dortige Lateinschule, 
wurde dann Schuhmacherlehrling und Mitglied der Nürnberger Meistersingerschule, 
durchwanderte als Geselle einen großen Teil von Süd-, West- und Norddeutschland 
und lebte als Schuhmachermeister und Meistersinger, zweimal glücklich vermählt, von 
1515 bis zu seinem Tode am 20. Januar 1576 in Nürnberg. 
Werke: 4275 Meistergesänge, 280 Tragödien, Komödien und Fastnachtsspiele, 
1700 Histori und Geschichten, Fabeln und gute Schwänke, 22 geistliche Lieder. 
Geistliches Lied: Warum betrübst du dich, mein Herz. 
51. Sankt Peter mit der Geiß. 
Da noch auf Erden ging Christus 
Und auch mit ihm wandert Petrus, 
Ein's Tags aus ein'm Dorf mit ihm 
ging. 
Bei einer Wegscheid' Petrus anfing: 
5 „O Herr und Meister mein, 
Mich wundert sehr der Güte dein. 
Weil du doch Gott allmächtig bist, 
Läßt es doch gehn zu aller Frist 
In aller Welt, gleich wie es geht. 
10 Wie Habakuk sagt, der Prophet: 
Frevel und Gewalt geht vor Recht! 
Der Gottlos' übervorteilt schlecht 
Mit Schalkheit den G'rechten und 
Frommen, 
Auch kann kein Recht zu End' mehr 
kommen; 
15 Die Lehr' gehn durcheinander sehr, 
Eben gleich wie die Fisch im Meer, 
Da immer einer den andern verschlingt. 
Der Bös' den Guten überwind't; 
Da steht es übel an allen Enden 
20 In oberen und niedern Ständen. 
Des siehst du zu und schweigest still, 
Samb kümmer dich die Sach' nicht viel 
Und geh' dich eben glatt nichts an; 
Könntst doch all's Übel nnterstahn, 
25 Nähmst recht in d' Händ die Herrschaft 
dein. 
O sollt' ich ein Jahr Herrgott sein 
Und sollt' die G'walt haben wie du, 
Ich wollt' anders schauen dazu, 
Führ'n ein viel besser Regiment 
Auf dem Erdreich durch alle Stand'. 30 
Ich wollt' steuern mit meiner Hand 
Wucher, Betrug, Krieg, Raub und 
Brand, 
Ich wollt' aufrichten ein ruhig Leben!" 
Der Herr sprach: „Petre, sag mir eben, 
Meinst, du wollt'st je besser regieren, 35 
All' Ding auf Erden baß ordinieren, 
Die Frommen schütz'n, die Bösen 
plagen?" 
Sankt Peter thät hinwieder sagen: 
„Ja, es müßt' in der Welt baß stehn, 
Nicht also durcheinander gehn, 40 
Ich wollt' viel brsser Ordnung halten." 
Der Herr sprach: „Nun, so mußt' 
verwalten, 
Petre, die hohe Herrschaft mein; 
Heut den Tag sollst du Herrgott sein. 
Schaff und gebeut all's, was du willt, 45 
Sei hart, streng, gütig oder mild, 
Gieb aus den Fluch oder den Segen, 
Gieb schön Wetter, Wind oder Regen, 
Du magst strafen oder belohnen, 
Plagen, schützen oder verschonen: 50 
In Summa mein ganz Regiment 
Sei heut den Tag in deiner Händ'!" 
Damit reichet der Herr sein' Stab, 
Petro den in sein' Hände gab; 
Petrus war des gar wohlgemut, 55 
Deucht sich der Herrlichkeit sehr gut. 
Indem kam her ein armes Weib,
	        
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