520 —
tigsten Ereignissen und Epochen wie ein durch natürliche Grenzen umschlossenes
Epos zeigt. Die dichterische Anschaulichkeit wird aber noch dadurch vermehrt, daß
jenen der Phantasie von ferne vorgehaltenen Erscheinungen ein als unmittelbar
wirklich geschilderter Gegenstand entspricht, und die beiden sich dadurch bildenden
Reihen zu gleichem Ende parallel neben einander fortlaufen.
Schiller wurde der Welt in der vollendetsten Reife seiner geistigen Kraft ent¬
rissen und Hütte noch Unendliches leisten können. Sein Ziel war so gesteckt, daß er¬
nte an einen Endpunkt gelangen konnte, und die immer fortschreitende Thätigkeit
seines Geistes hätte keinen Stillstand besorgen lassen; noch sehr lange hätte er die
Freude, das Entzücken, ja, wie er es bei Gelegenheit des Plans zu einer Idylle so
unnachahmlich beschreibt, die Seligkeit des dichterischen Schaffens genießen können.
Sein Leben endete vor dem gewöhnlichen Ziele; aber so lange es währte, war er
ausschließlich und unablässig im Gebiete der Ideen und der Phantasie beschäftigt.;
von niemand läßt sich vielleicht mit so viel Wahrheit sagen, daß „er die Angst des
Irdischen von sich geworfen hatte, aus dem engen, dumpfen Leben in das Reich des
Ideales geflohen war"; er lebte nur von den höchsten Ideen und den glänzendsten
Bildern umgeben, welche der Mensch in sich aufzunehmen und aus sich hervorzu¬
bringen vermag. (Gekürzt.)
4. Schiller aks Walladendichter.
Don E. Palleske.
Die Ballade ist italienischer Abkunft, aber erst England, der Norden, gab
dem verpflanzten Gewächs seine Kraft und seinen Charakter. Das Dunkle, Gewalt¬
same, Geheimnisvolle ist ihr eigen; sie liebt den dramatischen Gang und Dialog,
das Erhabene, die tiefe, innige Klage. Die Romanze, aus Spanien stammend, ist
sonniger, Heller; sie verhält sich zu jener, wie Dur zu Moll.
Es ist natürlich, daß in der Kunstpoesie sich beide Arten ihrer nationalen
Färbung entkleiden und in einander übergehen. Diese ideellere Mittelart, welche an
Gefühlsinnigkeit und Ton vielleicht verliert, was sie an dauernder Form durch klarere
Zeichnung, bewußte Steigerung und kunstvollere Komposition gewinnt, haben Schiller
und Goethe originell geschaffen. Durch sämtliche episch-lyrische Dichtungen Schillers
geht eine dunkle Gewalt, entweder des Elementarischen oder Bestialischen, oder der
Nemesis, des Schicksals, der Liebe. Dieser dunkle Ton und die dramatische Energie
nähert sie den ursprünglichen Balladen, während die sinnliche Klarheit und Fülle,
mit welcher selbst jene dunklen Gewalten geschildert sind, dann auch das kräftige
Auftreten des menschlichen Willens sie der Romanze nahe bringt. Ja, der „Hand¬
schuh" geht durch den pointenartigen Abschluß in die Anekdote über. Schiller hat
in einer noch vorhandenen Abschrift seiner Gedichte, welche zu einer neuen Ausgabe
bestimmt war, sämtliche Gattungsbezeichnungen bis auf eine gestrichen und auch diese
wohl nur aus Versehen stehen lassen.
Schillers Balladen sind so tief in das Herz des Volkes gedrungen, daß keine
Kritik sie daraus auf die Dauer verdrängen kann. Sie bedürfen zu einem ästhetischen
Genusse keines Kommentars. Sie lassen keine Gespenster erscheinen und behandeln
keine geschlechtlichen Probleme. Man wird mich nicht mißverstehen, wenn ich dies be¬
tone. Aber, da man das Deklamatorische daran getadelt hat, so ist doch auch hervor¬
zuheben, daß dieser Schmuck nicht zu unschuldigeren und naiveren Wirkungen ver¬
wandt werden konnte. Es ist etwas so jungfräulich Edles in diesen Bildungen, etwas,
wie das offene, lebensmntige Antlitz eines Knaben. Sie sind spannend und ergrei¬
fend, ohne zu überreizen; sie sind allgemein gültig ohne Leerheit, voll natürlicher
Wunder, ein frei im Licht sprudelnder Quell, an dem das junge Volk sich erlaben
mag. Und wie stimmt denn doch Zeichnung und Ton so einzig zusammen, wie ein-