Full text: Dichtungen der neueren Zeit

112 I. Erster Zeitraum. I). Die Zeit von 1815—1830. 
7. Der alte Turmhahn. 
Zu Kleversulzbach im Unterland 
Hundertunddreizehn Jahr' ich stand, 
Auf dem Kirchturm ein guter Hahn, 
Als ein' Zierat und Wetterfahn'. 
5 In Sturm und Wind und Negennacht 
Hab' ich allzeit das Dorf bewacht. 
Manch falber Blitz hat mich gestreift, 
Der Frost mein' roten Kamm bereift. 
Auch manchen lieben Sommertag, 
10 Da man gern Schatten haben mag, 
Hat mir die Sonne unverwandt 
Auf meinen goldigen Leib gebrannt. 
So ward ich schwarz für Alter ganz, 
Und weg ist aller Glitz und Glanz. 
15 Da haben sie mich denn zuletzt 
Veracht't und schmählich abgesetzt. 
Mein'thalb! so ist der Welt ihr Lauf, 
Jetzt thun sie einen andern 'nauf. 
Stolzier', prachtier' und dreh' dich nur! 
20 Dir macht der Wind noch andre Cour. 
Ade, o Thal, du Berg und Thal! 
Rebhügel, Wälder allzumal! 
Herzlieber Turm und Kirchendach, 
Kirchhof und Steglein übern Bach! 
25 Du Brunnen, dahin spat und früh 
Öchslein springen, Schaf' und Küh', 
Hans hinterdrein kommt mit dem Stecken, 
Und Bastes Evlein auf dem Schecken! 
— Ihr Storch' und Schwalben, grobe Spatzen, 
30 Euch soll ich nimmer hören schwatzen! 
Lieb deucht mir jedes Drecklein itzt, 
Damit ihr ehrlich mich beschmitzt. 
Ade, Hochwürden, ihr Herr Pfarr, 
Schulmeister auch, du armer Narr! 
35 Aus ist, was mich gefreut so lang, 
Geläut' und Orgel, Sang und Klang. 
Bon meiner Höh' so sang ich dort, 
Und hätt' noch lang gesungen fort, 
Da kam so ein krummer Teufelshöcker, 
40 Ich schätz', es war der Schieferdecker, 
Packt mich, kriegt nach manch hartem Stoß
	        
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