Heinrich Heine.
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4. Seit jener Stunde verzehrt sich mein Leib,
Die Seele stirbt vor Sehnen; —-
Mich hat das unglücksel'ge Weib
Vergiftet mit ihren Thränen.
2. Ibenddümmenmg.ch
Am blassen Meeresstrande
Saß ich gedankenbekümmert und einsam.
Die Sonne neigte sich tiefer und warf
Glührote Streifen auf das Wasser,
5 Und die weißen, weiten Wellen,
Von der Flut gedrängt,
Schäumten und rauschten näher und näher —
Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen,
Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen,
10 Dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen —
Mir war, als hört' ich verschollne Sagen,
Uralte, liebliche Märchen,
Die ich einst als Knabe
Von Nachbarskindern vernahm,
15 Wenn wir am Sommerabend
Auf den Treppensteinen der Hausthür
Zum stillen Erzählen niederkauerten
Mit kleinen, horchenden Herzen
Und neugierklugen Augen;
20 Während die großen Mädchen
Neben duftenden Blumentöpfen
Gegenüber am Fenster saßen,
Rosengesichter,
Lächelnd und mondbeglänzt.
3. Sturm.
Es wütet der Sturm,
Und er peitscht die Wellen,
Und die Well'n, wutschäumend und bäumend,
Türmen sich aus, und es wogen lebendig
5 Die weißen Wasserberge,
Und das Schifslein erklimmt sie
Hastig mühsam,
Und plötzlich stürzt es hinab
In schwarze, weitgähnende Flutabgründe —
*) 2—4 aus „Die Nordsee" (1825—1826).
Dichtungen d. neueren Zeit.