Full text: Deutsches Lesebuch für Prima (Teil 8)

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im gesellschaftlichen Leben. (Er trat für die Einheitlichkeit der neuhoch¬ 
deutschen Schriftsprache ein, reinigte sie von dem Wust der Fremdwörter, 
verbannte den verzopften Kanzleistil, regelte die Rechtschreibung, schärfte 
den Zinn für Zprachrichtigkeit und wirkte durch seine akademische Lehr¬ 
tätigkeit wie durch die Vorbildlichkeit seiner Schriften für eine gefällige, 
leichtfaßliche Prosa. In seinen Zeitschriften, mit denen der Aufschwung des 
deutschen Journalismus beginnt, eröffnete er Archive für wissenschaftliche, 
besonders germanistische Forschung,- er regte hierdurch zu grammatischen 
und altdeutschen Studien an, schrieb selbst eine deutsche Sprachlehre, welche 
auch im Ausland Verbreitung und Ansehen fand, lieferte reiches Material 
zur Geschichte des deutschen Dramas, eine hochdeutsche Übersetzung des 
Reineke und machte auf eine Reihe altdeutscher Denkmäler aufmerksam, 
wie er durch seine Auszüge aus den wissenschaftlichen Werken des In- und 
Auslandes die allgemeine Bildung förderte, so trat er für Aufklärung ein, 
sprach im Rampfe gegen die Orthodoxie der natürlichen Religion das Wort 
und schrieb ein deutsches Lehrbuch der Leibniz-Wolffschen Philosophie, mit 
dem die popularphilosophische Wirksamkeit Lessings und Mendelssohns ein¬ 
geleitet und die Geistesfreiheit des Volkes vorbereitet wurde. Seiner ^ver¬ 
nunftgemäßen Redekunst" mußte der alte homiletische Schlendrian weichen, 
und der moderne Charakter der Ranzelreden, nicht nur auf protestantischer 
sondern auch auf katholischer Seite, ist mit seinen Vorzügen und Schwächen 
auf Gottscheds Wirksamkeit zurückzuführen. 
poetische Begabung ging ihm ab. Die Phantasiekräfte der Jugend 
schlug seine rationalistische Geistesrichtung bald in immer engeren Bann. 
Tiefe der Empfindung fehlte ihm gänzlich. Über er besaß jene Leichtig¬ 
keit der Ruffassung und Wiedergabe, welche hinreichte, sein Interesse auch 
für die Dichtung zu wecken. Sein Rampf galt der sprachlichen Verwilderung, 
den formalen Spielereien, dem Schwulst und der geistigen Hohlheit, der 
sittlichen Roheit und Unfläterei. Cr gab bessere Muster und trug in seiner 
,,kritischen Dichtkunst" ein Lehrbuch der Poetik zusammen, welches einem 
Dichter jener Zeit neben historischen Belehrungen auch nützliche Anleitungen 
und Regeln bot. 
Zeine besondere Fürsorge wandte er dem Drama zu. Es gelang ihm 
in Verbindung mit der Reuberin, die Bühne von dem pöbelhaften und 
Unsaubern zu reinigen, die Runst der Darstellung dauernd an die des 
Dichters zu knüpfen, den Stand der Schauspieler zu veredeln und den Genuß 
des Zuschauers zu vergeistigen, wie in allen Gattungen der Poesie, ver¬ 
langte er namentlich im Drama Nachahmung der Natur,- daher beschränkte 
er den unsinnigen Ausdruck der Hffeite, verwarf die Oper, sowie alle über¬ 
natürlichen und undramatischen Bühnenerscheinungen, entkleidete den ty¬ 
pischen Spaßmacher seines Mäntelchens und unterwarf ihn dem Gesetz der 
dramatischen Handlung,- er forderte, indem er sich als reflektierenden Zu-
	        
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