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Beziehung sich der großen politischen Umwälzung vergleicht, die sich ungefähr
gleichzeitig in Frankreich vollzog. Ruch die Deutschen hatten ihre Revolution.
Die Geschichte der romantischen Schule ist die Geschichte einer Literatur¬
revolution, die ebensowohl als solche gemeint war, wie sie als solche ge¬
wirkt hat.
Die ersten Regungen derselben liegen doch auf dem Boden der Dichtung.
Durch die verhüllende Decke einer ganz entgegengesetzten, der alten aufkläre¬
rischen Vildungsschicht, arbeiten sie sich durch. Es ist die Tiecksche Poesie,
in welcher gewisse Grundzüge des Romantischen, wenn auch nicht am kräf¬
tigsten und schärfsten, so doch am frühsten, unmittelbarsten und mit der
selbständigsten Triebkraft zum Vorschein gekommen sind, wie es unter
den widerstrebendsten Bildungsverhältnissen, unter mannigfachen Studien-
einflüssen, vor allem doch durch die eigentümliche Begabung des Mannes,
durch eine Phantasieanlage, deren Charakter recht eigentlich war, keinen
Charakter zu haben — wie es hier zu bisher nicht gehörten poetischen
Tönen, zu bisher nicht dagewesenen Spielarten der poetischen Gattungen
kam, dies verfolgen wir an dem Faden des Biographischen, wir
begleiten Tieck durch die älteren Stadien seiner Entwicklung von seinen
ersten naturalistischen durch die reflektierten und satirischen und weiter
durch die phantastischen Produkte bis zu dem Punkte, wo er von anderer
Seite über sich selbst, über die Eigenart seiner Poesie und seines Talentes
aufgeklärt wurde. Ein gutes Stück der Tieckschen Poesie aber müssen wir
auf seinen Iugendgefährten Wackenroder zurückführen. Der unpoetische Be¬
standteil der Tieckschen Poesie, der Teil, durch den sie auf Rritik und Theorie
hinüberweist, erscheint vertreten durch einen anderen, etwas älteren Genossen,
Bernhardi.
Rritik und Theorie entwickeln sich inzwischen an einem anderen Punkte
in ebenso eigentümlicher Fortbildung der durch die ältere Generation in
Geltung gesetzten Anschauungen. Dieselbe Weichheit, die Tieck dem Stofs
der Poesie, bringt Rugust Wilhelm Schlegel den poetischen Formen und Emp¬
findungsweisen entgegen. In ernsten und ausgebreiteten Literaturstudien,
in unersättlicher Rn- und Nachbildung, unmittelbar angelehnt an unsere
klassische Poesie, wird er zum Rusleger aller vorhandenen poetischen Herr¬
lichkeit. wie in ihm der poetische Formensinn, so verbindet sich in seinem
Bruder Friedrich der philosophische Geist der Epoche mit dem geschichtlichen.
Die Vergangenheit, das griechische Rltertum zunächst, und wiederum die
Gegenwart der Poesie wird für ihn zum Gegenstand philosophischer Ron-
struktion. Die vorgreifende, doktrinäre Schärfe seines Geistes treibt es
zum Bruche mit Schiller. In herausfordernder Reckheit stellt er sich der noch
vorhandenen Masse von Unpoesie entgegen. Durch sein Ruftreten zumeist
kömmt es zur Parteibildung. So verselbständigt sich die romantische Rritik
und Theorie. Sie begegnet sich mit der Tieckschen Poesie. Durch das