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rischen poetische Geltung einräumte, so war das kein gedankenloses Zu¬
geständnis an die romantische Mode, auch kein pathologischer Zug am Dichter
selbst, sondern es entsprang seinem heißen Bemühen, in die letzten und
individuellsten Geheimnisse der Menschenseele hinunterzugraben, das See-
lische auch da noch zu fassen, wo es aus den Tiefen des Unbewußten heraus¬
quillt und vom physischen Leben des Menschen bedingt wird. Buch hierin
zeigte sich schon bei Uleist ein Zug, der erst in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts stärker hervorgetreten ist und sogar zu modernen Verzerrungen
geführt hat. Buch nach einer anderen Seite noch geht Uleist über die Ro¬
mantik hinaus und stellt sich an die Seite der Uörner und Arndt: der natio¬
nale Zug, den ja auch die Romantik hatte, trat bei ihm nicht nur gelegentlich
wie bei den Romantikern als eine treibende Uraft in die Dichtung ein, sondern
er wurde sein beherrschendes Lebenspathos und persönlicher Gehalt seiner
Dichtung, nicht nur wie bei Uörner und Arndt in der Lyrik, sondern auch
im Drama. Die dichterische Gesamterscheinung Uleists hing nicht gebunden
in den von der Romantik beherrschten Anfängen des Jahrhunderts, sondern
drängte und wies nach vorwärts in die dem Jahrhundert eigentümliche
Entwicklung der Nation und ihrer Literatur.
Bernd Heinrich Wilhelm von Uleist, 1777 in Frankfurt a. (D. ge¬
boren, wurde durch die Familientradition zuerst ins Heer geführt,
machte den Feldzug von 1793 mit, nahm aber 1799 unbefriedigt den
Abschied. Und nun begann bei ihm ein oft selbstquälerisches Suchen
nach dem eigentlichen Lebensberuf. In Wissenschaft, Staatsdienst,
ländlicher Tätigkeit und Journalistik hat er sich versucht, in Berlin
und Dresden, in Paris und in der Schweiz. Im Jahre 1807 wurde
er von den Franzosen als Spion verhaftet und eine Zeitlang in einer
französischen Festung gefangen gehalten. Er kämpfte wiederholt mit
der gemeinen Sorge ums Brot, sein innerer Hauptkampf aber war der
um die Frage seines Dichterberufes, und dieser wurde ihm bis zum ver¬
zweifeln erschwert durch den beharrlichen äußeren Mißerfolg seiner Dich¬
tungen. Sein patriotisches Pathos steigerte sich mit der Zeit bis zum furcht¬
baren haß und Grimm gegen Napoleon, und da er keinen anderen Ausweg
zur Befreiung mehr zu sehen glaubte, trug er sich eine Zeitlang mit dem
Gedanken, Napoleon zu ermorden. Endlich wund und matt gerieben, verlor
er die Maßstäbe und den halt des Willens und erschoß sich in dem ver¬
zweifelten Jahre 1811 am Wannsee bei Berlin.
von seiner Lyrik ist wenig übriggeblieben, er selbst hat vieles
dem Feuer übergeben,- was übrig ist, trägt vorzugsweise den Eha-
rakter patriotischer Dichtung und atmet ganz die verzweifelte Trauer
über die Schmach des Vaterlandes und den wild-leidenschaftlichen haß
gegen die Unterdrücker, darin Kleist sich verzehrte. Seine Erzählungen