Full text: Literaturgeschichtliches Lesebuch

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Man hat sonderbarerweise Klopstock und Claudius kaum je verglichen. 
Liegt hier nicht wirklich ein Mangel vor, ergänzen sich die beiden nicht 
wundersam genug? hat man nicht den bescheidenen Voten gar zu sehr 
als nebensächlich behandelt neben Klopftod;? 
Unsere persönliche Meinung ist die: Klopstock hat wahrlich befruchtend 
genug auf die deutsche Dichtung gewirkt. Nach all der Dürre, die der 
Glaubenskrieg hinterließ, hat er die Poesie wieder dorthin geführt, wo 
allein ihr Loden ist, zum Gefühl. Und weiter, er gab ihr auch den großen 
Gdenton, der von ihm über Goethe und Schiller und über Hölderlin bis 
zu Nietzsche und den Neuesten forthallt, mit lebender Stimme freilich dort 
allein, wo ein Gestalter spricht, wie Klopstock selber nur in wenigen Nugen- 
blicken einer war. Weil er's so selten war, deshalb wird seine eigene 
Dichtung selber auch kaum noch mit vielen Gedichten auferstehen. Der 
große Mensch in ihm zerbrach das Spiel, das man bisher für Poesie 
gehalten hatte, und führte zur Poesie als Erleben, aber der Künstler in ihm 
hatte selten die Kraft, das, wovon der Mensch Klopstock redete, zu zeigen. 
Die darstellende deutsche Sprachkunst hat deshalb nicht Klopstock zuerst 
wiederbelebt, sondern neben den jungen Himmelsstürmern Claudius, wir 
meinen jene Kunst, die uns bei Walters von der vogelweide „Tandaradei" 
den Jubel zweier Liebenden noch heute mitjubeln läßt, als sei das ver¬ 
schwiegene vöglein eben erst aufgeflogen — heute, nach sieben Jahrhunderten ! 
Jene Kunst, die in Luthers Bibeldeutsch noch heute in uns, wie in denen, 
die mit Jesus gen Emmaus gingen, „das herz brennen" macht, heißer als 
irgendeine Stelle im „Messias". Jene Sprachkunst, die aus unsern mäch¬ 
tigsten Chorälen und unsern innigsten Volksliedern spricht und die dann 
unsere Lprik zu Goethe führt und von ihm zu Mörike. Denken wir des 
Klopstockschen Grabes, wollen wir um der Gerechtigkeit willen auch der 
Gruft des Wandsbecker Boten gedenken. Klopstock war als Geist sicherlich 
viel bedeutender als Claudius. Die eine köstliche Gabe jedoch, beim Fühlen 
zu schauen und aus dem Abglanze des so Erschauten im Genießenden das 
Nachfühlen auferblühen zu lassen, diese Gabe war Claudius in reicherem 
Geschenke verliehen. Und deshalb ist mit dem jungen Goethe der Neu- 
schöpfer der deutschen Lprik er. 
*9. Lessing. 
Aus Heinrich von Treits chke, Ausgewählte Schriften. Leipzig 1907, hirzel. 
Alle Welt weiß, wie wenigen Dichtern beschieden ward, noch in der 
Zukunft vom Volke geliebt, nicht bloß durchgrübelt zu werden von den 
Fachgelehrten, warum aber ist bei den Deutschen die Zahl der Dichter 
so auffällig gering, welche den Jahrhunderten getrotzt? Denn wer außer 
dem Forscher liest noch, was über die Literaturbriefe, über die Werke von 
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