Full text: Literaturgeschichtliches Lesebuch

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großen Schritt in Me Völkerpsychologie wagt. Er hat den Grient in ihre 
Ñrbeiten hineingezogen und in gleichwägender Liebe Ñltertum, Mittelalter 
und Neuzeit getragen. wo die Theologie historisch arbeitet, wo sie aus 
den seelischen Erfahrungen des modernen Menschen heraus die religiösen 
Heilswahrheiten anzueignen strebt, hat sie ihn zu nennen, vie allgemeine 
Kunstgeschichte findet keinen Ähnlichen, um die Kunstwerke besonders der 
alten Völker als Zeugnisse ihres Seelenlebens zu deuten. Die Psychologie, 
die Ästhetik dankt seiner Feinheit und Zeelenkunde Großes, nicht leicht sonsther 
Geleistetes. Vas sind nur einige Züge. Es ist kaum möglich, in Kürze 
alle die Wissenschaften zu nennen, die ihm verpflichtet sind. Nicht als 
das letzte, vielmehr als das erste sei nur das noch erwähnt, daß in keiner 
Seele wie in der seinen die Lieder der Völker erklungen sind. Und mit jedem 
Lied zog er ein neues Volk in den Gesichtskreis der Menschheit hinein. Zein 
hören wurde zu einem großen Schauen. Er sah seine geliebte Menschheit ent¬ 
faltet in den tausendgestaltigen Völkern. 
Ñber wir wollen ihn nicht als Gelehrte, wir wollen als Menschen 
den Menschen sehn. 
Ñus seinen Bestrebungen tritt er uns entgegen mit seinen großen Zügen. 
Blicken wir nur auf seine erste literarische Jugend. Zwar — das ist 
zweifellos — hier ist im Ñnfang sehr viel einfach aufgenommen von den 
Gedanken und Interessen der Zeit. Er wird von außen angeregt. Er macht 
zu dem, was andere gesagt, einige eigene Bemerkungen hinzu. Ñber bald 
schon welch ein hervorbrechen eigenster Ñrt. Die literarische Erörterung 
wird mit den feinsten psychologischen Beobachtungen durchsetzt. Den Schluß 
dieser ersten Epoche macht das Neisejournal, Zeugnis einer allgemeinen 
inneren Uevolution. hier wird an alles die Hand gelegt. Den Wissen¬ 
schaften, den Künsten, der Literatur, ja den Völkern will er eine neue 
Richtung geben. Vas ist die Größe dieser Seele und zugleich der eigentliche 
Beweis, wie sie sich selber nun ganz gefunden hat, daß, da sie einmal 
begonnen mit den Gedanken ihrer großen Reform, nichts stehen bleiben 
kann, wie es ist. Der Jüngling weiß: er muß die ganze Welt des Geistigen 
in seinem Kopfe tragen und wägen, um die Ziele zu erreichen, die er vorhat 
mit den Menschen der Zeit. 
Gehen wir einen Schritt weiter mit ihm in die Enge und Einsamkeit 
Lückeburgs, so tritt uns alsbald wieder der großartige Zusammenhang 
seiner Bemühungen entgegen. Man möchte sagen: in aller auseinander¬ 
strebenden Fülle die Geschlossenheit, wenn nicht dieses Wort, wo es sich 
um Herder handelt, ganz am falschen Platze wäre. Es ist Ein Geist, in 
dem er auf seine Ñrt den Sinn zugleich für Gssian und Shakespeare, für 
Klopstock und Homer erweckt oder verfeinert. Das gleiche Mitgefühl für 
ursprüngliche Poesie will er in den Zeitgenossen rege machen. Und das 
Ursprüngliche, wie es nicht sehr abgeklärt dem Begriffe nach, aber stark
	        
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