Full text: Die deutsche Dichtung des 19. Jahrhunderts in ihren Hauptvertretern

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unvollkommen verstand, da habe ich an diesen Tisch gedacht, und welche Freude es 
für mich sein würde, wieder Ihr Angesicht und diese Räume zu sehen. Denn das 
Bitterste auf Erden ist doch, sich in den Stunden der Ruhe allein zu fühlen, ohne 
einen guten Freund, ohne eine Stätte, an welcher das Derz hängt." 
Lind als er spät am Abend aufbrach, sagte der Kaufmann beim Nachtgruß: 
„Wohlfahrt, ich wünsche Sie noch fester an dies Laus zu fesseln. Jordan verläßt 
uns mit dem nächsten Vierteljahr, um als Associe in die Handlung seines Oheims zu 
treten. Ich habe Sie für seine Stelle bestimmt. Ich weiß, daß ich keinen bessern 
Mann zu meinem Stellvertreter machen kann." 
Als Anton in sein Zimmer zurückkehrte, da fühlte er, was der Mensch nur in 
wenigen Stunden seines Lebens ungestraft fühlen darf, daß er glücklich war, ohne 
Reue, ohne Wunsch. Er setzte sich auf das Sofa, sah auf das Kissen und die 
Blumen, und seine Gedanken flogen zurück über die letzten Stunden. Immer wieder 
sah er Sabine vor sich, wie sie sich auf seine Dand niederbeugte und ihm dankte. 
Lange saß er so in holdem Traume und legte sein müdes Haupt auf die seidenen 
Arabesken, welche Sabinens Hand gestickt hatte. 
Aber dieses Glück ist nicht von langer Dauer. Bald nach der Heimkehr gibt Wohlfahrt 
seine Stellung auf und tritt in den Dienst des Freiherrn v. Rothsattel, der sich durch verschiedene 
industrielle Unternehmungen völlig zugrunde gerichtet hat, und dessen wirtschaftliche Verhältniße 
er nun als Inspektor ordnen soll. Er tut das nur aus Neigung zu Leonore, der schönen 
Tochter des Barons, und ihretwegen geht er auch auf ein verfallenes, an der polnischen 
Grenze gelegenes Gut, das ihre Eltern noch gerettet haben. Im Laufe seiner erfolgreichen 
Arbeiten erkennt er aber, daß Leonore doch nicht die richtige Frau für ihn sei: Fink dagegen, 
der nach jahrelanger Abwesenheit aus Amerika zurückkehrt und nun seinem Freunde in den 
polnischen Wirren beisieht, erlangt ihre Hand. Wohlfahrt tritt wieder in seine alte 
Stellung zurück und wird nach einiger Zeit als Sabinens Verlobter Teilhaber des Dauses 
T. O. Schröter. 
III. Die Journalisten. 
Lustspiel i 
Professor Oldendorf ist seit einiger Zeit 
in einer Provinzialhauptstadt Leiter der poli¬ 
tischen Zeitung „Die Union" und vor kurzem 
von seiner Partei als Landtagskandidat auf¬ 
gestellt worden. Darunter leiden stark seine 
freundschaftlichen Beziehungen zu dem Obersten 
a. D. Berg, mit desien Tochter Ida er sich 
verloben will. Durch die Leiter der gegnerischen 
Partei, den Gutsbesitzer Senden und den Re¬ 
dakteur Blumenberg, ist der Oberst veranlaßt 
worden, in ihrer Zeitung „Coriolan" einen Auf¬ 
satz ohne Namensunterschrift zu veröffent¬ 
lichen, den die „Union" so scharf angegriffen hat, 
daß der Oberst dem Professor deswegen ver¬ 
letzende Vorwürfe macht. Idas Freundin 
Adelheid Nuneck, die verwaiste Besitzerin eines 
großen Landgutes der Nachbarschaft, kommt 
gerade zu Besuch und sucht den Obersten zu 
begütigen. 
Erster Akt. 
Zweite Szene. 
Redaktionszimmer der „Union". Türen in der Mitte 
und zu beiden Seiten. Im Vordergrund links ein 
Arbeitslisch mit Zeitungen und Papieren, rechts ein 
ähnlicher, kleinerer Tisch, Stühle. 
Bolz (Redakteur der „Union", aus der Seitentür 
rechts, darauf Müller (Faktotum) durch die Mitteltür. 
Bolz (eifrig). Müller! Faktotum! Wo sind 
die Postsachen? 
4 Akten. 
Müller (behend mit einem Pack Briefe und 
Zeitungen). Hier, Herr Bolz, ist die Post, — 
und hier aus der Druckerei das Probe¬ 
blatt unserer heutigen Abendnummer zur 
Revision. 
Bolz (am Tische links Briefe schnell öffnend, 
durchsehend und mit Bleistift bezeichnend). Ich 
habe die Revision bereits gemacht, alter 
Schelm. 
Müller. Nicht ganz. Hier unten ist noch 
das Mannigfaltige, welches Herr Bellmaus 
den Setzern gegeben hat. 
Bolz. Der damit! (Liest in der Zeitung.) 
Wäsche vom Boden gestohlen — Drillinge 
geboren — Konzert, Konzert, Vereinssitzung, 
Theater — alles in Ordnung — Neuerfundene 
Lokomotive; die große Seeschlange gesehen. (Auf¬ 
springend.) Alle Wetter, kommt der wieder mit 
der alten Seeschlange! ich wollte, sie würde 
ihm als Gelee gekocht und er müßte sie kalt 
aufessen. (Eilt zur Tür rechts.) Bellmaus, Un¬ 
geheuer, komm hervor!
	        
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