Full text: Die deutsche Dichtung des 19. Jahrhunderts in ihren Hauptvertretern

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Mir war's, als rollte dumpf dann vor das Laus 
Der nur zu wohlbekannte Armenwagen, 
And jene Bettlein trugen sie hinaus 
And luden sie in seinen düstern Schrägen. 
Der Kutscher aber nahm noch einen Schluck 
And peitschte fluchend seine magren Schinder, 
And übers Pflaster dann ging's Ruck aufRuck— 
Doch ach, noch immer wimmerten die Kinder! 
And immer, immer noch klang's mir im Ohr, 
Wenn schon der Morgen durch das Fenster 
blickte, 
And mir ums Auge hing ein Tränenflor, 
Wenn ich dann stumm mein Tagewerk beschickte. 
Was halfmir nun mein „Stückchen Philosoph" ? 
In Trümmer fiel, was ich so luftig baute! 
Doch tat's das Laus nicht, nicht der düstre Los, 
Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! — 
Die Armut bettelt um ein Stückchen Brot, 
Doch herzlos läßt der Reichtum sie verhungern; 
Millionen tritt die Goldgier in den Kot, 
And einen einzigen nur läßt sie lungern. 
In seidne Betten wühlt sie ihn hinein. 
Wenn er beim Sekt sich endlich ausgeplappert, 
Indes beim flackernden Laternenschein 
Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert. 
O Gott, warum dies alles, o warum? 
Wie Zentnerlast drückt mich die Frage nieder! 
In meinen Reimen geht sie heimlich um 
And ächzt und stöhnt durch meine armen Lieder. 
Was bleibt mir noch auf diesem Erdenball? 
Denn auch die Kunst, längst stieg sie vom 
Kothurne! 
Einst schlug mein Äerz wie eine Nachtigall, 
Doch ach, nun gleicht es einer Tränenurne! 
Een Boot is noch buten! 
„Ahoi! Klaas Nielsen und Peter Iehann! 
Kiekt nach, ob wi nich Io Mus sind! 
Ii hewt doch gesehn den Klabautermann? 
Gott Lob, dat wi wedder to Lus sind!" 
Die Fischer riesen's und stießen ans Land 
And zogen die Kiele bis hoch auf den Strand, 
Denn dumpf an rollten die Fluten; 
Äan Jochen aber rechnete nach 
And schüttelte finster sein Laupt und sprach: 
„Een Boot is noch buten!" x) 
1) draußen. 
And ernster keuchte die braune Schar 
Dem Dorf zu über die Dünen, 
Schon grüßten von fern mit zerwehtem Laar 
Die Fraun an den Gräbern der Lünen. 
And „Korl!" hieß es und „Leiw Marie!" 
,,'T is doch man schön, dat ji wedder hie!" 
Dumpf an rollten die Fluten — 
„An Äinrich, min Linrich? Wo is denn dee?!" 
And Jochen wies in die brüllende See: 
„Een Boot is noch buten!" 
Am Äser dräute der Möwenstein, 
Drauf stand ein verrufnes Gemäuer, 
Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein 
And goffen Öl in das Feuer. 
Das leuchtete weit in die Nacht hinaus 
And sollte rufen: „O komm nach Laus! 
Dumpf an rollen die Fluten — 
Lier steht dein Weib in Nacht und Wind 
And jammert laut und küßt dein Kind: 
,Een Boot is noch buten!£" 
Doch die Nacht verrann, und die See ward still, 
And die Sonne schien in die Flammen; 
Da schluchzte die Ärmste: „As Gott will!" 
And bewußtlos brach sie zusammen! 
Sie trugen sie heim auf schmalem Brett, 
Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett, 
And draußen plätschern die Fluten; 
Dort spielt ihr Kind, ihr „lütting Iehann", 
And lallt wie träumend dann und wann: 
„Een Boot is noch buten!" — 
So einer war auch er! 
Liegt ein Dörflein mitten im Walde, 
Äberdeckt vom Sonnenschein, 
And vor dem letzten Laus an der Lalde 
Sitzt ein steinalt Mütterlein. 
Sie läßt den Faden gleiten 
And Spinnrad Spinnrad sein 
And denkt an die alten Zeiten 
And nickt und schlummert ein. 
Leimlich schleicht sich die Mittagsstille 
Durch das flimmernde, grüne Revier. 
Alles schläft, selbst Drossel und Grille 
And vorm Pflug der müde Stier. 
Da plötzlich kommt es gezogen 
Blitzend den Wald entlang 
And vor ihm hergeflogen 
Trommel und Pfeifenklang. 
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