Geschichte. 
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hässig auslegte, das Ziehen eines Taschentuchs z. B. einmal als ein Zeichen, 
daß ich es gefüllt haben wollte, was mir die glühendste Schamröte auf die 
Wangen und die Tränen in die Augen trieb. Sobald Susannas Parteilichkeit 
und die Ungerechtigkeit ihrer Magd mir ins Bewußtsein traten, hatte ich den 
Zauberkreis der Kindheit überschritten. Es geschah sehr früh. 
Friedrich Hebbel. Sämtliche Werke. Leipzig, Hesse. IX S. 171. 
II. Geschichte. 
4. Die Entstehung der historischen Literatur. 
Die Entstehung einer geschichtlichen Literatur ist ein spätes Produkt der 
Kulturentwicklung eines Volks. Einem unmittelbaren Bedürfnis entspringt wohl 
das Bestreben über den Ursprung der in der Gegenwart bestehenden Zustände 
und Ordnungen Aufschluß zu gewinnen; aber dies wird zunächst, soweit nicht 
erhaltene Urkunden, z. B. Friedensverträge und Gesetze, über einzelne Tatsachen 
Auskunft geben, durchaus in den Bahnen und Formen des mythischen Denkens 
befriedigt. Dagegen über die Einzelvorgänge einer verschollenen Vergangenheit, die 
uns nichts mehr angeht, Auskunft zu gewinnen liegt ursprünglich ebensowenig ein 
Anlaß vor wie der Nachwelt von den Vorgängen der Gegenwart Kunde zu übermitteln. 
Von diesen erzählt man sich, man stellt, wenn man selbst an ihnen Anteil ge¬ 
nommen hat, die eigenen Taten ins hellste Licht, man bekämpft die Erzählungen 
der Gegner und verdächtigt ihre Motive; aber zu den zukünftigen Generationen 
hat man keinerlei inneres Verhältnis. Allerdings führt die Steigerung der 
Individualität zu dem Streben sich ewigen Nachruhm zu erwerben und in 
diesem ebenso dauernd fortzuleben wie in dem Grabbau und eventuell dem 
Totenkult, den man sich geschaffen hat. Das führt bei mächtigen und erfolg¬ 
reichen Herrschern (in weitvorgeschrittener Zeit auch gelegentlich bei anderen 
Persönlichkeiten) dazu selbst für diesen Nachruhm Sorge zu tragen und ihre 
Taten in Königsinschriften der Mit- und Nachwelt zu verkünden, häufig in Ver¬ 
bindung mit großen, für die Ewigkeit bestimmten Bauwerken und Skulpturen. 
Aber diese Königsdenkmäler dienen der Nachwelt nur ganz indirekt und sind 
denn auch meist von ihr sehr schlecht behandelt worden; erwachsen sind sie nicht 
aus einem historischen Interesse, sondern aus einem praktischen, wenn auch der 
geistigen Sphäre ungehörigen Bedürfnis der Gegenwart. — Nicht anders steht 
es mit den Aufzeichnungen, welche in den geordneten Monarchien des Orients 
tagtäglich über die Taten, Entscheidungen, Verordnungen der Könige am Hofe 
(und ähnlich in großen Tempeln) geführt werden; auch sie dienen durchaus 
praktischen Bedürfnissen, wie die Listen der Jahresnamen und der Folge der 
Könige mit den zugehörigen Regierungsjahren, wenn sie auch zu fortlaufenden 
Annalen zusammengestellt und zu solchem Zweck exzerpiert und in kürzerer Fassung 
überarbeitet werden können. Auch andere Staaten, Republiken, können, sobald
	        
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