Full text: Mittelhochdeutsches Lesebuch

Das Thierreich. izs 
gen schlafen im Winter, und sind, wenn sie erwachen, ger 
meiniglich neu gekleidet: denn sie legen ihre alte Haut ab. — 
Der Nutzen der Schlangen ist freylich nicht viel größer, 
als der Schaden, den sie thun; aber sie geben doch manche 
Vortheile. Viele Arten werden gegessen; andere Arten 
hält man, wie bey uns die Katzen, Ln den Häusern als 
Ratten, und Mäusejäger; einige dienen statt Arzeneyen 
und von manchen wird die Haut genützt; — alle aber sind 
dazu da, um zwischen schädlichen Thieren aufzuräumen. 
Man theilt die sämmtlichen Schlangen in sechs verschiedene 
Geschlechter. Gebet Acht, jetzt sollen einige derselben 
die Parade machen: die Riesenschlange, (Boa, auch 
Abgottsschlange genannt), in Ost-und Westindien, ein 
fürchterlich großes Geschöpf, das wohl 24 bis zo Fuß lang, 
und so dick, wie ein Mensch werden kann. Giftig ist dies 
entsetzliche Thier nicht, aber gleichwohl gefährlich genug. 
Pa schlingt es sich mit dem Schwanz und dem halben Leibe 
um einen Ast; was gilt«, sie wittert eine Beute. Sehet, 
da kömmt ein Stier ganz ruhig her, um zu grasen. Bei 
trachtet einmal die Schlange, was sie für Augen macht 
wie sie die Zunge spitzt, md den Kopf dreht: husch, da 
sitzt sie dem Stier auf dem Leibe, und schmeißt ihn zu Bo¬ 
den. Er will sich wehren, aber sie hat ihn mit den Schlin¬ 
gen ihres Körpers ganz zusammen gedrückt. Wie basarme 
Thier brüllt, wie ihm der heiße Dampf'aus dem Maule 
geht. Sehet, jetzt zerschmettert sie ihm mildem Schwänze 
die Knochen, daß er wie ein Waschlappen zusammenfällt. 
Nun wollen wir ganz.nahe hinzutreren, denn sie bemerkt 
uns nicht. „Was ihr jetzt aus dem Rachen geht," das 
wollet Ihr wissen. Es ist ihr Geifer, damit umzieht sie 
den ganzen Stier, daß er recht geschmeidig wird- und nun 
— sehet — nun schluckt sie ihn mit Haut und Haar hinun, 
ter.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.