Vorwort zur fünften Auflage.
Die vorliegende Ausgabe unterscheidet sich von der vorausgehen-
den vor allem durch das veränderte äussere Gewand. Die Texte sind
aus den gleichen Gründen wie früher im ganzen unangetastet geblieben *),
die Anmerkungen mit aller Behutsamkeit nachgebessert. Neu sind die
kurzen Proben aus dem trefflichen Windsbecken, unserem Lands-
mann, für welche durch Verminderung der Sprüche Freidanks Platz
gewonnen wurde. Mehr Aufmerksamkeit als bisher glaubte ich den
Bedürfnissen von Anfängern Rechnung tragen zu müssen, indem ich
die Orthographie des Mittelhochdeutschen verständlicher machte. Ich
schloss mich dabei an die Überlieferung an; so konnte die Unterscheidung
von & (langem ü) und iu (wohl am geeignetsten ui auszusprechen) so
gut wie ganz nach Cod. C. der Nibelungen durchgeführt werden. Der
Umlaut von mügen, künnen, kümt durfte geradezu als Regel Auf-
nahme finden; eine spätere Ausgabe wird wenigstens bei Werken aus
dem Südosten auch kömen, süln, ünz, üns zulassen müssen. Bei
unbetonten Worten (vor allem beim Pronomen si) habe ich die Lánge-
bezeichnung seltener gesetzt, da ihre Berechtigung Zweifeln unterliegt.
Weiteres hierüber in meinen, für Lehrer bestimmten, ‘Erläuterungen
zur mhd. Grammatik’ **). Eine zweite Erleichterung für die Schüler
geben die Accente als Winke zur richtigen Auffassung der Versrhythmen.
Es ist ebenso notwendig als schwierig die mhd. Verse streng rhythmisch
zu lesen, nichts verdirbt den unmittelbaren Genuss der Dichtungen
mehr als das unsichere Raten beim Vortrag. In einer nächsten Auf-
lage glaube ich noch viel ôfter durch Accente nachhelfen zu müssen
als bei vorliegender, wo ich erst einen schüchternen Versuch wagte,
*) Die Sterne vor manchen Strophen geben an, dass diese in der dritten
Auflage fehlen.
** München, Lindauersche Buchhandlung 1894.