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II. Aus dem Menschenleben.
zog er seinen Degen und schwenkte ihn in Kreuzhieben über seinen Kopf,
daß kein Tropfen auf ihn fiel; und als der Regen stärker ward und
endlich so stark, als ob man mit Mulden vom Himmel gösse, schwang
er den Degen immer schneller und blieb so trocken, als säß' er unter
Dach und Fach. Wie der Vater das sah, erstaunte er und sprach: „Du
hast das beste Meisterstück gemacht, das Haus ist dein."
Die beiden andern Brüder waren damit zufrieden, wie sie vorher
gelobt hatten, und weil sie einander so lieb hatten, blieben sie alle
drei zusammen im Haus und trieben ihr Handwerk; und da sie so gut
ausgelernt hatten und so geschickt waren, verdienten sie viel Geld. So
lebten sie vergnügt bis in ihr Alter zusammen, und als der eine krank
ward und starb, grämten sich die zwei andern so sehr darüber, daß sie
auch krank wurden und bald starben. Da wurden sie, weil sie so geschickt
gewesen waren und sich so lieb gehabt hatten, alle drei zusammen in
ein Grab gelegt. Brüder Grimm.
A. Merkehr mit dem Nächsten.
37. Junker Prahlhans.
n König hatte einen jungen Edelknecht, den man Junker Prahl¬
hans nannte, weil er immer viel versprach und wenig hielt.
Es lebte aber auch am Hofe des Königs ein Spaßmacher, und
dieser wollte den Prahlhans bessern. Das ging aber auf folgende
Weise zu:
Eines Tages hätte der König gern gebratene Vögel gegessen und
sprach zum Junker: „Hans, gehe hinaus in den Wald und schieße mir
zehn Vögel für meinen Tisch!" Der Junker aber sprach: „Nicht nur
zehn, sondern hundert Vögel will ich dir schießen!" — „Gut!" sprach
der König, „wenn du ein so guter Schütze bist, so bringst du mir
hundert; sollst für jeden einen Taler haben!" Der alte Spaßmacher
hörte das und ging dem Junker voraus in den Wald, wo die meisten
Vögel waren, und rief ihnen zu und sprach:
„Ihr Vöglein, flieget alle fort!
Hans Großmaul kommt an diesen Ort,
Will hundert Vögel schießen."