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II. Aus dem Menschenleben.
100. Wom Höervogl Kuber in Uriberg.
Vor fünfzig Jahren stand ich als Knabe an Sommerabenden oft
am Schoße meiner Großmutter, wenn sie mit den Nachbarn und Nach¬
barinnen auf der Bank vor ihrem Hause saß. Da erzählte sie vielmal
vom Obervogt Huber, den sie wohl gekannt hatte.
Er wurde vor mehr als hundert Jahren Obervogt (Oberamtmann)
in der damals noch österreichischen Herrschaft Triberg und waltete
seines Amtes bis zu seinem Tode.
Sein Bezirk war der kältesten und unfruchtbarsten einer auf dem
Schwarzwald; die Uhrmacherei ging sehr schlecht, der Uhrenhandel nach
Rußland stockte. Er war deshalb bemüht, diesem Haupterwerb des
Schwarzwälders neue Absatzgebiete zu eröffnen, und sann zugleich auf
neue Erwerbsquellen.
Er ließ auf seine Kosten einen Strohstechter aus Toskana kommen
und erlernte mit seiner Frau von diesem Italiener die Strohflechterei.
Alsdann begann das obervogtliche Ehepaar, die armen Leute persönlich
zu unterrichten. Trotz des Widerspruchs der Leute ließ er das Korn
aus dem Felde schneiden, ehe es reif war, damit es besser zu bleichen
und weniger hart wäre; er kaufte es mit eigenem Gelde, ließ die Halme
unter seiner Aufsicht und Anleitung bleichen, durch metallene Schneid¬
nadeln spalten, und dann lehrte seine Frau die Kinder und Frauen im
Amthaus das Flechten dieser feinen Halme. Sodann ging das würdige
Paar in die Dörfer der Herrschaft und gab auch dort den armen Leuten
Unterricht. Das Geflecht kaufte der Obervogt selbst und suchte es zu
verwerten; später nahm ein einfacher Mann von Schönwald den Leuten
alle Geflechte ab und sandte sie nach Westfalen und den Niederlanden,
nach Frankreich und Rußland. Kinder von sechs Jahren an und Frauen
neben ihrer Haushaltung verdienten so 60 bis 120 Gulden jährlich,
ein schönes Stück Geld für die Armen jener Zeit.
Jetzt half der unermüdliche Bogt auch den Bauern, und zwar
ging er selbst mit gutem Beispiel voran. Der Staat hatte bei Triberg
Wiesen, gab aber dem Obervogt keine Mittel, sie zu verbessern. Nun
griff er abermals in die eigene Tasche, ließ das Felsgestein aus den
Matten entfernen, Boden darauf führen und eine Berieselung darauf
anlegen. Und als das Gras mächtig gewachsen war, führte er die
Bauern an Ort und Stelle und zeigte, was sie erreichen könnten ohne
Opfer, da sie alle Arbeiten selber zu tun imstande wären. Die Bauern
gingen jetzt freudig an die Verbesserungen, und der Obervogt kam
gerne auf jeden, auch den entferntesten Hof, um die Sache zu leiten
und zu überwachen.
Dann ging er an die Wege. Zahllose Pfade hat er geebnet für
Fuhrwerke und ohne andere Unterstützung, als die Hände der von ihm