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36. Die beschränkte Frau.
Annette Freiin von Droste-Hülshoff.
Gedichte. Paderborn 1907. S. 189.
1. Ein Krämer hatte eine Frau,
die war ihm schier zu sanft und milde,
ihr Haar zu licht, ihr Aug zu blau,
zu gleich ihr Blick dem Mondenschilde.
Wenn er sie sah so still und sacht
im Hause gleiten wie ein Schemen,
dann faßt' es ihn wie böse Macht,
er mußte sich zusammennehmen.
2. Vor allem macht' ihm Überdruß
ein Wort, das sie an alles knüpfte,
das freilich in der Rede Fluß
gedankenlos dem Mund entschlüpfte:
„In Gottes Namen," sprach sie dann,
wenn schwere Prüfungsstunden kamen,
und wenn zu Weine ging ihr Mann,
dann sprach sie auch: „In Gottes
Namen."
3. Das schien ihm lächerlich und
dumm,
mitunter frevelhaft vermessen;
oft schalt er, und sie weinte drum
und hat es immer doch vergessen.
Gewöhnung war es früher Zeit
und klösterlich verlebter Jugend;
so war es keine Sündlichkeit
und war auch eben keine Tugend.
5. Ein Blütenhag war seine Lust.
Eiust sah die Frau ihn sinnend stehen
und, ganz versunken, unbewußt,
so Zweig an Zweig vom Strauche
drehen.
„In Gottes Namen I" rief sie, „Mann,
du ruinierst den ganzen Hagen!"
Der Gatte sah sie grimmig an,
fürwahr, fast hätt er sie geschlagen.
6. Doch wer da Unglück sucht und
Reu,
dem werden sie entgegen eilen.
Der Handel ist ein zart Gebäu
und ruht gar sehr auf fremden Säulen:
ein Freund falliert, ein Schuldner flieht,
ein Gläubger will sich nicht gedulden,
und eh ein halbes Jahr verzieht,
weiß unser Krämer sich in Schulden.
7. Die Gattin hat ihn oft gesehn
gedankenvoll im Sande waten,
am Kontobuche seufzend stehn
und hat ihn endlich auch erraten;
sie öffnet heimlich ihren Schrein,
langt aus verborgner Fächer Grube,
dann, leise wie der Mondenschein,
schlüpft sie in ihres Mannes Stube.
4. Ein Sprichwort sagt: Wem gar
nichts fehlt,
den ärgert an der Wand die Fliege.
So hat dies Wort ihn mehr gequält, i
als andre Hinterlist und Lüge.
Und sprach sie sanft: „Es paßte
schlecht!"
durch Demut seinen Groll zu zähmen,
so schwur er, übel oder recht,
werd es ihn ärgern und beschämen.
8. Der saß, die schwere Stirn ge¬
stützt,
und rauchte fort am kalten Rohre:
„Karl!" drang ein scheues Flüstern itzt
und wieder „Karl!" zu seinem Ohre;
sie stand vor ihm. wie Blut so rot,
als gält es, eine Schuld gestehen.
„Karl," sprach sie, „wenn uns Un¬
heil droht,
ist's denn unmöglich ihm entgehen?"