137. Brüderlich geteilt. Von Hlbert Richter.
Lustige Geschichten aus alter Zeit. Leipzig 1879. 8. 94.
VY|/dt seinem Gefolge ritt einst ein Fürst zur Jagd aus. Da begegnete
vvl ihm auf dem Felde ein Bettler, der ihn um eine Gabe ansprach.
Der Fürst griff nach seinem Beutel und reichte dem Bettler einen Groschen.
Da sprach der Bettler: „O Herr, Ihr habt gar ungleich geteilt
mit Eurem Bruder!"
Erstaunt fragte der Fürst: „Bist du denn mein Bruder?" Der
Bettler aber antwortete: „Freilich bin ich Euer Bruder! Nennet
Ihr denn nicht wie ich Gott Euren Vater, und betet Ihr nicht auch
wie ich: Vater unser?"
Als der Fürst diese Rede des Bettlers vernahm, erwiderte er:
„Wenn es so ist, so hast du dein Teil, das dir als meinem Bruder
gebührt, reichlich empfangen. Denn wollte ich jedem meiner Brüder so
viel geben wie dir, so müßte ich flugs mein Fürstentum und alles, was
ich habe, verkaufen und würde doch noch nicht so viel zusammenbringen,
daß ich jedem einen Groschen geben könnte. Geh du aber hin zu allen
deinen übrigen Brüdern und laß dir von jedem auch einen Groschen
geben, so wird dein Sack bald nicht mehr zureichen, das Geld aufzu¬
nehmen."
138. Eldel§teine. Von Johannes Pauli.
Schimpf und Ernst. Neubearbeitet von Anton Plattner. Graz 1901. S. 52.
Ein Edelmann kehrte, da er zu Hofe wollte, auf dem Schlosse
eines ihm bekannten Herrn ein. Der führte ihn auf seinen
Besitzungen herum, zeigte ihm alles und jedes, zum Schlüsse die
Kleinodien und schön gefaßten Steine, weiche ihm und seiner
Familie gehörten. Es waren darunter zwei von besonders hohem
Wert, und er schätzte den einen auf fünfhundert, den andern gar
auf tausend Gulden. Als er lange genug mit seinen Steinen ge¬
prahlt hatte, fragte der Edelmann:
„Lieber Freund, welchen Nutzen bringen dir diese kostbaren
Steine?“
Der sagte: „Nutzen eigentlich keinen!“