362
nicht so großmütig gewesen wäre, lebten die Tierchen auch nicht mehr.
Das war eines Tages ein Schrecken für die ängstlichen Hasengeschwister!
Da kam der Jäger mit dem Hunde über den Hag daher. Der Hund
lies plötzlich dicht an das Lager der Häschen und stand wie eine Bild¬
säule vor den kleinen im Busche, die sich tief ins Moos drückten. „Hab'
acht!" hat da der Jäger gerufen, und die Schnauze des Karo schob
sich bis zum Lager der Häschen hinein. Jetzt war's um diese geschehen
— doch nein! der alte Hund tat den schmächtigen Tierchen nichts zu¬
leide, sondern leckte sie, als ob er Mitleid mit ihnen habe. Endlich
läßt sie der großmütige Hund unbehelligt in ihrem Versteck und folgt
dem Pfiff seines Herrn. Aber kaum ist der Schreck vorüber, so entsteht
eine neue Gefahr. Der schwarze Kolkrabe flattert vom Walde herüber
an den Hag. Ernst durchsucht er die Frucht des Feldes und das Gestrüpp
der Heide nach Raub, denn die Jungen auf seinem Neste in der hohen
Buche schreien nach Nahrung. Die Häschen hatten schon die dunkle
Mordgestalt gesehen und versteckten sich noch tiefer ins Dornengestrüpp.
Zuletzt kam auch noch die Rabenmutter wie ein Schatten angeflogen und
gesellte sich zu ihrem Mordgesellen. Das war ein entsetzlicher Augenblick für
die Häschen. Aber auch diesmal behütete sie ein günstiger Zufall vor den
gefährlichen Feinden, die von der daherziehenden Schafherde verscheucht
wurden und ärgerlich mit dem Rufe „rab, rab" dem Walde zueilten.
Bald haben sich die Schafe über den Hag verteilt, und unsere Häschen
sind mitten in der Herde. Doch sie wissen, daß ihnen von dem fried¬
lichen Weidevieh nichts geschieht und warten ruhig ab, bis die Herde
dem Schäfer über die Heide gefolgt ist.
Noch ist das Paar immer an seiner liebgewonnenen Geburtsstätte
geblieben. Nun im warmen Mai wird's viel wirtlicher und sicherer.
Rings im üppigen Felde ist der Tisch gedeckt mit allerlei Leckerbissen,
und die Saaten sind emporgeschossen zum üppigen Versteck. Das Ge¬
schwisterpaar wuchs in diesem Flurensegen zu zwei halbwüchsigen Hasen
heran, welche die fette Äsung auf dem Kleeacker am Wege schon früh
am Morgen und zeitig gegen Abend aus dem Hage lockt.
Eben als sich die Sonne nach den Bergen neigen will, da sind sie
aus dem Hage gerückt. Sie sitzen mit ausgereckten Löffeln am Wege,
der in die Flur sich verliert. Still ist's in den Feldern; nur das Zirpen
und Schwirren der Feldgrillen durchzittert die Flur. Der Geschwister
Freundin, die Heckengrasmücke, ist auch schon munter im dornigen Rain
und steigt von Zeit zu Zeit lustig zwitschernd eine Strecke in die Luft.