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er ihn beim Einrollen einer sehr großen Geldsumme und sah es ihm
deutlich an, daß er ungelegen kam. Der Kaufmann strich unwillig
das Geld in eine Schublade des Tisches und wollte eben eine unwirsche
Frage tun, als er sich noch besann und Gellert höflich grüßte.
Geliert setzte sich und sagte: „Von Ihnen kann man gewiß viel
Gutes lernen; denn ein so gesegneter Mann wie Sie wird es nicht
unterlassen, von seinem Reichtume den gesegnetsten Gebrauch zu machen.
Sie kennen gewiß die große Kunst, anderen wahrhaft wohlzutun." Der
Kaufmann, der mit seinen Gedanken noch halb bei seinem Gelde war,
verstand nicht recht, was Gellert wollte, und antwortete sehr zerstreut:
„Ach ja, ganz recht!"
Gellert fuhr fort, mit der Wärme seines edlen Herzens von den
Freuden des Wohltuns und der Menschenliebe zu reden. Selbst noch
ergriffen von dem Schicksal der armen Frau, sprach er so ergreifend,
daß der Geizhals in seines Herzens Grunde bewegt wurde. Da öffnete
sich die Tür, und die arme Frau trat herein und legte die dreißig
Taler auf den Tisch, indem sie sagte: „Da haben Sie das Geld! Aber
nun geben Sie mir auch das Briefchen wieder, das mein armer, kranker
Mann geschrieben hat, damit Sie uns nicht aus dem Hause werfen
lassen!" Noch erfüllt von Gellerts schönen Worten, geriet der Kaufmann
in große Verlegenheit.
Er suchte das zu bemänteln und sagte: „Ei, das hätte ja Zeit
gehabt! Wie kann Sie nur so reden? Sie sieht ja, daß ich —
Besuch — habe! — doch —". Er besann sich schnell; der Geldhunger
übermannte ihn, und er begann das auf dem Tische liegende Geld zu
zählen.
„Ja, ja," sagte die Frau, „Zeit hin, Zeit her! Sie haben mich
heute früh hart angefahren. Einen kranken Mann und vier todkranke
Kinder, kein Geld für Arzenei, keins für Brot; ach, das ist hart!
Und nun noch aus dem Hause geworfen werden, das ist entsetzlich!
Als ich in der Verzweiflung herumlief, da begegnete ich da diesem
Herrn —" (Gellert winkte ihr, zu schweigen). „Ja," fuhr sie fort,
winken Sie nur, ich muß es doch sagen — der gab mir das Geld."
Der karge Reiche fuhr betroffen herum und sah Gellert an. Was
dieser ihm eben gesagt, war noch frisch in seinem Gedächtnisse. „Sie
haben das getan?" fragte er mit Erstaunen. Tief ergriffen von dem
Gedanken, daß der arme Gellert das getan, wandte er sich jetzt zu
der Frau und sagte: „Hier haben Sie das Briefchen, aber auch