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III. 26. Schnaase:
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hervortreten. Dahin gehört ferner die Rücksicht auf Zweckmäßigkeit. Den
unorganische Stoff ist selbstlos, äußerer Gewalt hingegeben, dienend; auch
diese Eigentümlichkeit muß daher in seiner künstlerischen Behandlung ausgebildet
werden. Der Künstler muß zwar seine geistige Freiheit dem Stoffe leihen,
aber so, daß sie in diesen sich hineinlebt; sie vernichtet daher den Ausdruck
der Zweckmäßigkeit nicht, sie adelt ihn nur. Die Zweckmäßigkeit muß nicht
wie eine fremde Zumutung, sondern wie freiwillige Leistung an dem Werke
hervortreten. Daher ist es denn der Baukunst angemessen, daß ihr Werk
sich als Einschließung eines freien, brauchbaren Raumes darstelle, als der
Körper einer inneren Seele. - Der Zweck endlich ist seiner Natur nach ein
bestimmter individueller, der denn auch dem Werke den Charakter des Indi¬
viduellen verleiht. Es ist leicht zu finden, wie durch diese Verbindung des
inwohnenden Zweckes mit den Erfordernissen der Schwere und Kohärenz sich
die künstlerischen Ansprüche aus Einheit des Ganzen, aus Teilung, aus
Symmetrie, Proportion und Harmonie der Teile entwickeln.
Es geht hieraus ferner die schwache Seite der Baukunst hervor. Denn
da sie den Schein eines individuellen Zweckes erfordert, so ist sie auch von
dessen Umfang abhängig; sie berührt daher das Gebiet gemeiner Nützlichkeit
und steht nicht so, wie die anderen Künste, in unverkennbarer Freiheit da.
Aus der anderen Seite hat sie aber den Vorzug, die reinste und eigen-
tünilichste aller Künste zu sein. Gerade weil sie die unorganische Natur
gestaltet, die in der Wirklichkeit am wenigsten den Eindruck des Schönen
macht, ist sie gezwungen und berufen, die Gesetze der Kunst am bestimmtesten
und schärfsten auszuarbeiten. Sie läuft niemals Gefahr, sie mit den Ge¬
setzen der Wirklichkeit zu verwechseln und dadurch in das bloß Angenehme
hinabzusinken. Vor der Musik, die übrigens in der scharfen Sonderung von
der Natur und in der selbständigen Entwickelung der Kunstgesetze mit der
Architektur verwandt ist, hat diese den Vorzug des strengeren, härteren Stoffes,
welcher falsche Motive, Sinnlichkeit und Willkür, nicht an sich kommen läßt,
oder doch gleich als solche zu erkennen giebt. Durch diese Strenge und
Reinheit der Kunstgesetze wird die Architektur die Grundlage aller Künste,
alle müssen sie befolgen und wenn sie, mit der Natur ringend, nach Regeln
suchen, auf den architektonischen Boden zurückgehen. Von der sinnlichen Seite
der Erscheinung ist die Baukunst am weitesten entfernt, dagegen kann sie
wohl, auf einer Vorstufe ihrer Ausbildung zur Schönheit, das Gebiet des
Erhabenen streifen. Wenn nämlich das Schönheitsgefühl noch nicht ganz aus¬
gebildet ist, kann es der religiösen Frömmigkeit dadurch zu dienen glauben,
daß es durch den Kontrast der Größe staunende Ehrfurcht zu erwecken sucht.
Bei weiterer Entwickelung der Kunst wird aber dieser falsche Anspruch auf-