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In ganz besonderer Weise sind auch die Pollenkörner selbst für
die Verbreitung durch den Wind eingerichtet. Während der Blutenstaub
der nicht windblütigen Pflanzen in den meisten Fällen eine rauhe und
klebrige Oberfläche besitzt, welche die einzelnen Körner in Ballen znsammen-
hält, sind die Pollenkörner des Haselstrauchs an ihrer Oberfläche glatt,
eben und trocken. Infolgedessen hasten sie nicht aneinander, sondern ver¬
breiten sich einzeln in der Luft. Auf diese Weise kann der Wind sie am leich¬
testen überall hintragen, während zusammenklebender Blütenstaub wegen seiner
größeren Schwere viel eher zu Boden sinken und dort liegen bleiben würde.
Ebenso paßt sich die Narbe der Windbestäubung an. Die Stempel-
blüten stehen höher und mehr nach außen als die Staubblätter und sind
somit dem Winde unmittelbar ausgesetzt. Aus der Spitze des Stempel-
blütenstaubes ragen die fadenförmigen, klebrigen Griffel hervor, gewisser¬
maßen als Fangarme in die Luft gestreckt, um jedes Pollenkörnchen auf¬
zufangen, welches gegen sie heranfliegt.
L. Borgas (Studien und Lesefrüchte aus dein Buche der Natur).
138. Die Kiefer.
Erst im Mai, wenn die Laubwälder bereits im vollen Schmucke
ihrer jugendfrischen Blätter stehen, beginnt auch im düsteren Braungrün
des Nadelwaldes sich neues Leben zu regen. Auf allen Zweigspitzen
der Kiefer, deren Nadelwerk stellenweise bis vor kurzem noch wie ver¬
brannt aussah, erheben sich silberweiße Juugtriebe, als hätte man die
Bäume mit Tausenden kleiner Kerzen besteckt. Zugleich erscheinen au
kurzen Seitenzweigen schwefelgelbe Sträußchen, die aus einer dicken
Achse — der Verlängerung des Zweiges — und 20 bis 30 kützchen- '
ähnlichen Körperchen gebildet werden. Bei genauerer Betrachtung ergibt
sich, daß jeder dieser gelben Körper aus lauter schuppenartigen Staub¬
gefäßen besteht, die in großer Zahl und spiraliger Anordnung der ge-
meinsanien Spindel aufsitzen, daß er mithin eine männliche Blüte dar¬
stellt. Die Schuppe ist an ihrer Spitze etwas nach abwärts übergebogen
und trügt darunter zwei große, später weit offene Staubbeutelfächer, die
eine Fülle gelben Pollens bergen. Schon beim Herauslösen einer männ¬
lichen Einzelblüte aus dem straußähnlichen Blütenstand verstäubt eine
ganze Wolke dieses feinen Pollens, den man leicht auf einem unter¬
gelegten Papierblatt sammeln kann. An der Menge und Trockenheit
des Pollens erkennen wir den Windblütler. Bei stärkerer Vergrößerung
bemerkt man außerdem, daß die Pollenkörnchen mit zwei kugligen Luft¬
blasen versehen sind, die ihre Flugfähigkeit bedeutend erhöhen. In der
Tat werden sie durch den Gewitterwind häuffg in solchen Massen den