Wo aber die Mauer ein Tor haben sollte, hob Romulus den Pflug
auf und trug ihn über die Stelle weg. Denn die Mauern der Stadt
sollten heilig sein, und wer sie überschritt, war dem Strafgerichte
der Stadtgötter verfallen; dagegen durch die Tore sollte Reines
und Unreines aus- und eingehen können. Als das ganze Viereck
mit der Furche bezeichnet war, opferte Romulus den Stier und
die Kuh, die den Pflug gezogen hatten. Am einundzwanzigsten April
des Jahres 753 vor Christi Geburt wurde so auf dem palatinischen
Berge am Tiberstrom die Stadt gestiftet, die, Roma genannt, einst
die Weltherrscherin werden sollte.
131. Mucius Scävola.
Karl Friedrich Becker.
Porsenna hielt die Stadt Rom eng eingeschlossen; eine fürchterliche
Hungersnot entstand bei den Belagerten, und da die Römer keinen
Ausfall wagten, so erwartete Porsenna täglich die Übergabe der Stadt.
Auch die Römer verzweifelten an einem glücklichen Ausgang der Dinge.
Da beschloß ein junger Patrizier, Gaius Mucius, seine Vaterstadt durch
Ermordung ihres Feindes zu befreien. Mit einem Dolche unter dem
Mantel ging er als Überläufer in das etruskische Lager und drängte
sich in den Haufen, der um des Königs Sitz geschart war. Hier wurde
eben den Soldaten der Sold ausgezahlt. Reben dem König saß sein
Schreiber; beide waren fast gleich gekleidet, und Mucius, der Porsenna
nicht kannte, ließ sich vom Ungefähr leiten, stürzte aus den Schreiber
zu und stieß ihm den Dolch in die Brust. Ergriffen und entwaffnet, sollte
er bekennen, wer er sei. Unerschrocken blickte er um sich und sprach:
„Ein römischer Bürger bin ich, Mucius ist mein Name. Ich habe
als Feind den Feind ermorden wollen und scheue jetzt nicht den eigenen
Tod. Männlich handeln und männlich leiden, beides ist römisch. Und
ich bin nicht der einzige, der diese Gesinnung gegen dich hegt, eine lange
Reihe von Jünglingen nach mir strebt nach derselben Ehre; überall
sollst du von nun an zittern; so hat die römische Jugend geschworen."
Der König, durch diese Rede erschreckt und erzürnt, drohte, Mucius ins
Feuer werfen zu lassen, wenn er ihm nichts Näheres über die Verschwörung
mitteile. Da sprach Mucius: „O sieh! wie verächtlich denen der Körper
ist, die großen Ruhm vor Augen sehen." Und mit diesen Worten
streckte er seine rechte Hand in die lodernde Flamme des Opferfeuers,
das in der Nähe brannte, und ließ sie vom Feuer verzehren, ohne ein
Zeichen des Schmerzes zu äußern. Ein Grausen ergriff die Umstehenden;