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2. Vom Bache noch einmal trinkt Nachtigall schnell. „Ade, liebe
Fluren!“ so singet sie hell, „ihr habt mich erquicket mit Speise und
Trank, ich habs euch gedanket mit schmetterndem Sang. Nun seid ihr
ermüdet, wollt schlafen auch gehn, — o möget im Lenze ihr wonnig
erstehn! Wir Vöglein, wir können so lange nicht warten; Gott schirme
indes den schlummernden Garten! Ade! Ade!“
3. Zum Fenster noch einmal blickt's Schwälbchen hinein: „Ade,
liebe Kinder, geschieden muß sein! Ich hatte mein Nest an dem Fenster
gebaut, ihr habet mit Freuden die Kleinen geschaut und gern auf mein
Zwitschern des Morgens gehört, ihr habet mir nimmer den Frieden
gestört. Drum möge auch euch in Freud und Gefahren der Himmel
die liebenden Eltern bewahren! Ade! Ade!“ Löwenstein.
93. Knabe und Zugvögel.
Knabe: „Ihr Vöglein alle, wohin, wohin?“
Vögel: „Nach wärmerem Lande steht unser Sinn.“
Knabe: „So weit über Berg und Feld und Meer? Verirrt ihr
euch nicht gar zu sehr?“
Vögel: „Der liebe Gott mit seiner Hand, der führt uns immer
ins rechte Land.“
Der Knabe sah ihnen nach so weit: „Zieht hin, ihr habt ein gut
Geleit.“ Er blickte zum Himmel dann hinan: „Herr, führ auch mich
auf rechter Bahn!“ Der hörte es gern in seiner Gnade, bewahrte sie
beide auf ihrem Pfade. Zey.
94. Die Nuss in der Schale.
Das kleine Lieschen fand in dem Garten eine Nuls,
die noch mit der grünen Schale überzogen war. Lieschen
sah sie für einen Apfel an und wollte ie ee Kaun
hatte sis aber hineingebissen, so rief sié: „Pfui, wie
bitter!“ und warf die Nuls weg.
Konrad, ihr Bruder, der Clüger war, hob die Nuls
sogleieh auf, schälte sie mit den Zähnen ab und sagte
„Ieh achte diese bittere Schale nicht; weils ich doch,
dals ein süsser Kern darin verborgen steckt, der mir
dann desto besser schmecken wird. la.
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