Full text: (Sechstes und siebentes Schuljahr) (Teil 3 für Kl. 4 u. 3)

Er hatte seine Kräfte übernommen; auch plagte ihn wieder 
die alte Gicht, die er sich, wie er sagte, in den Kriegsjahren beim 
Biwakieren auf der nassen, kalten Erde zugezogen hatte. Für einen 
Mann von der Art unseres Vaters konnte es nichts Unerträglicheres 
geben, als wenn er seiner altgewohnten Tagesarbeit, seinem regel¬ 
mäßigen Verdienste nicht nachgehen konnte; gleich schweren, 
schwarzen Wolken legte sich die Sorge über ihn. Es kam hinzu, 
daß er nun erst recht erkannte, wie sehr der Haushalt seit der 
Mutter Tode zurückgegangen war. Die Kuh wollte keine Milch mehr 
geben, die Hühner wollten keine Eier mehr legen, die Gänse ließen 
die Flügel hängen, und das Schwein, das schon so gut im Stande 
gewesen war, lag eines Morgens tot im Stalle. Die Mutter, die Mutter, 
ach, sie fehlte dem Vater und fehlte uns Kindern; sie fehlte uns 
überall, in der Stube und im Stalle, auf dem Boden und im Keller, 
in der Lindenhütte und in der Kirche. 
Eine alte Schuld, die auf der Lindenhütte stand, drückte den 
Vater ganz besonders, denn zu Martini war der Zins an die Kirchen¬ 
kasse zu entrichten. Wenn einer erst im Finstern sitzt, sieht er alles 
schwarz; der Vater seufzte denn auch schon über die Schande, 
daß er zum erstenmal in seinem Leben den Zins nicht werde zahlen 
können. 
Da war nun keine Spielenszeit mehr für uns Kinder. Während 
Stineliese an der Mutter Statt bei Bornriekens für die Ackerschuld 
arbeitete, mußten wir Kleinen, wenn wir aus der Schule kamen, 
ins Feld und krauten oder auf unsern Äckern arbeiten. Ich konnte 
zwischen Schulschluß und Mittag immer gerade noch eine Tracht 
einbringen, denn um das bare Einkommen mehren zu helfen, mußte 
ich nachmittags nach dem gräflichen Hofe auf Tagelohn. Das ergab 
allemal einen guten Groschen. Ach, du lieber Gott, ja! Was unsereins 
am Abend verdient hatte, das hatte er ja am Mittage schon auf¬ 
gegessen. 
Da kam nicht selten ein Tag, daß wir auch nicht einen Knust 
im Schranke hatten. Nichts aber war mir peinlicher, als wenn ich 
ohne Halbabendbrot ins Tagelohn mußte: nicht des Hungers wegen, 
sondern weil ich mich bitter schämte, wenn die andern ihre „Stücker“ 
aßen und merkten, daß ich nichts hatte. Armut und Not ist nur 
halb so schwer zu ertragen, wenn man sie seinen lieben Mitmenschen 
nicht auf die Zähne zu hängen braucht. 
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