Full text: [Teil 4 = 5. - 6. Schulj] (Teil 4 = 5. - 6. Schulj)

wühlte ich und förderte eine altertümliche Tranlampe zutage. Ge¬ 
leuchtet hatte sie in der letzten Nacht und war jäh erloschen >vie das 
Lebenslicht des vom Verderben Überraschten. Schätze fanden wir nicht, 
nur eine grauumsponnene Silbermünze, deren Umschrift ich entzifferte: 
^riäerieus II rex Danorum. Die Münze war gangbar um 1600. 
Rickmer, der Siebzigjährige, redete, und ich lauschte. „Als ich 
noch ein Knabe war, bin ich oft mit meinem Großvater hinüberge¬ 
fahren zur Kirchwarf des alten Jllgrof — bei Ostwind und niedriger 
Ebbe lagen die Trümmer der alten Kirche trocken. Wir holten uns 
dort die Mauersteine zum Bau unseres Hauses, das jetzt auch längst 
vom Meere zerstört ist, rote, gewaltig große und gutgebrannte Steine 
waren es und nicht zerbröckelt, trotzdem sie ihre acht Stieg' Jahre 
im Wasser gelegen hatten." Ich hörte die Worte und wollte zur Jll- 
grofer Kirchwarf. Aus den Gräbern der alten Friesen wandelten wir. 
Ein halbzertrümmerter Leichenstein ragte aus dem Grunde. „Hier ruht 
in Gott. . .!" lasen wir und weiter nichts. Ja, ihr unsterblich Teil 
mag ruhen in Gott, aber ihre Gebeine haben keine Ruhe gefunden, 
sondern sind aufgewühlt worden von der rastlosen Flut, nur ihre 
Steine sind geblieben und haben sich vergraben im Schlicke. Auf der 
Jllgrofer Kirchwarf stand ich sinnend und sah über das weite Watten- 
seld. Da stand das Tote und Lebendige lebendig vor meiner Seele. 
Was ich überschaute, war das alte, das untergegangene Nordstrand! 
Wo jetzt das Meer wallet und der Kahn des Kielwassers Furche zieht, 
zog einst der Pflüger seine Ackerfurchen und wogte das Weizenfeld. 
5. Mein Traum flog zurück um zwei Jahrtausende in Cimbriens 
Urzeit. Da war Land! Land! Land! Und von Röm über Sylt 
nach Helgoland reichte Cimbriens westliche Küste. Aber in einer Sturm¬ 
und Sintflutnacht brach das Wüten des Weltmeeres sich Weg zwischen 
Britannien und Gallien und stürzte durch die Straße von Dover auf 
das ahnungslose Flachland im Norden der Elbe. Verrückt roaren 
Zimbriens Grenzen und seine Westgaue zerschlagen in kleine Insel- 
trümmer. Man richtete Bollwerke, Dämme und Deiche aus wider den 
dräuenden Feind. Aber das Meer ruhte nicht, sondern sandte Flut 
auf Flut. Die wühlte und nagte, und ihr Tosen sagte: „Wartet nur, 
ihr Dünen und ihr Deiche der Marschen, ihr sollt mein werden!" Und 
sie wurden des Salzwassers Beute. 
6. Der Alte trieb zur Rückkehr. Wir richteten unsere Schritte heim¬ 
wärts zur Hallig. Als wir sie betraten, hörten wir von draußen ein 
leises, dumpfes Rauschen. Die Flut kam, schon stieg das Wasser in 
den Rinnsalen und Prielen der Hallig. Im Halligenpesel standen Bücher 
auf dem Borte über der Tür. Begierig griff ich nach den Chronisten 
Nordfrieslands. Immer das alte und ewig neue Lied von Frieslands
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.