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tretet der Universität, der er früher selbst angehört hatte. In stattlichem
Zuge, darunter 40 Mann zu Pferde, und gefolgt von Tausenden aus
allen Ständen der Bevölkerung, wurde er in das Kloster seines Ordens
geleitet, in welchem er dereinst unter schweren und heißen Kämpfen zur
Erkenntnis der evangelischen Wahrheit sich hindurchgerungen hatte. In
allen Straßen, durch die der Zug ging, wogte die Menge; selbst auf den
Dächern und Türmen drängle man sich, um den Mann Gottes zu sehen.
Am Tage nach seinem Einzuge in Erfurt predigte Luther in der Kirche
des Augustinerklosters unter großem Zulauf. Als er am folgenden Tage
seine Reise fortsetzte, schloß sich auch sein Freund Justus Jonas ihm an.
Auch in Gotha und Eisenach, wo Luther weiter Rast machte, hat er ge¬
predigt. Noch in Thüringen gelangte ein neuer Erlaß des Kaisers zu
seiner Kenntnis, der die Auslieferung und Verbrennung aller seiner Bücher
anordnete und in allen Städten Deutschlands öffentlich angeschlagen wurde.
Einen Augenblick erschrak Luther, als er die Kundgebung las, aber den¬
noch setzte er unverzagt seine Reise fort, obgleich er den ganzen Weg über
Krankheit zu klagen hatte. Je mehr er sich dem Ziele näherte, desto mehr
hörte er von den Ränken seiner Gegner. Aber er war fröhlich und guter
Dinge. Als seine Freunde ihn vor den Gefahren warnten, die seiner in
Worms warteten, entgegnete er: „Christns lebt, und wir werden nach
Worms gehen allen Pforten der Hölle zum Trotz." Als ihn wenige
Stunden vor Worms nochmals eine Warnung erreichte, die ihn an das
Schicksal des Hus erinnerte, antwortete er in unerschütterlichem Gott¬
vertrauen: „Nach Worms bin ich berufen, nach Worms muß ich ziehen.
Und wenn so viele Teufel darin wären, wie Ziegel auf den Dächern,
dennoch will ich hinein."
4. Am 16. April, vormittags 10 Uhr, näherte sich der Zug der Stadt
Worms. Der Turmwächter meldete ihn vom Dom her durch einen Trompeten¬
stoß an. Dem voranreitenden Herold folgte im offenen Wagen Luther in der
Mönchskutte mit drei Begleitern, umgeben von einer großen Anzahl statt¬
licher Reiter, die sich ihm unterwegs angeschlossen hatten, oder die ihm von
Worms entgegengeritten waren; mehr denn tausend Menschen folgten zu
Fuß. In den Straßen, durch die Luther fuhr, waren alle Fenster mit
Menschen besetzt, jung und alt, vornehm und gering drängte sich an ihn
heran; Mütter hoben ihre Kinder in die Höhe, um ihnen den kühnen
Augustinermönch zu zeigen. Im Hause der Johanniterritter, wo der Kurfürst
von Sachsen wohnte, fand auch Luther seine Herberge. Als er vom Wagen
stieg, sprach er: „Gott wird mit mir sein."
5. Gleich nach seiner Ankunft wurde Luther benachrichtigt, daß er am
folgenden Tage um 4 Uhr vor dem Reichstag zu erscheinen habe. Dieser
versammelte sich in dem bischöflichen Palast, in welchem der Kaiser ab¬
gestiegen war. Auf Seitenwegen wurde Luther dorthin geführt, da eine