Full text: Prosa für Lehrerseminare (Teil 3)

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Reiches Bestand zerfallen, weil es durch seinen llniversalismus an dem 
Kristallisationsprozeß zur Nation gehindert ward und zwar zur Nation 
im Ganzen. Denn kleinere Kerne kristallisierten sich in Form starker 
Fürstentümer und gaben den Grundstock für neue Staatsgebilde ab. 
5 Aber dadurch mußten sie und ihre Oberhäupter in Konflikt leider mit 
dem dem Universalismus dienenden Kaiser und Reich gelangen, und 
es ging der innere Frieden dem stets schwächer werdenden Reich ver¬ 
loren. Leider muß auch über diese Entwicklungsphase unsers deutschen 
Volkes das schwerwiegende Wort des großen Kenners Germaniens, 
10 Tacitus, geschrieben werden: kropter invidjam!^) Die Fürsten 
neideten den Kaisern ihre Macht, wie einst dem Arminius trotz seines 
Sieges. Der Adel neidete die reich gewordenen Städte und der Bauer 
den Adel. Was für unselige Folgen und welch schweres Unheil hat 
unser liebes, schönes Deutschland propter invidiam erlitten! Davon 
i5 können die Gestade Vater Rheins etwas erzählen! Nun, was damals 
nicht gelang, Gott gab es einem zu vollbringen! 
Aachen und Mainz sind uns historische Erinnerungen; aber 
das Sehnen nach dem Zusammenschluß zu einer Nation blieb 
in des Deutschen Busen, und Kaiser Wilhelm der Große voll- 
20 brachte es im Verein mit seinen treuen Dienern. Drum nach 
Koblenz aufs Deutsche Eck den Blick und nach Rüdesheim zum 
Niederwald! Die Bilder lehren und beweisen Ihnen, daß Sie jetzt 
Germanen sind in deutschem Land, Bürger einer streng begrenzten 
deutschen Nation, an deren Heil und Entwicklung in Zukunft mit- 
25 zuarbeiten Sie alle zur Vorbereitung hier sind. Herrlich emporgeblüht 
steht das Reich vor Ihnen, Freude und dankbare Wonne erfülle Sie, 
und der feste mannhafte Vorsatz, als Germanen an Germanien zu 
arbeiten, es zu heben, stärken, tragen, durchglühe Sie! Die Zukunft 
erwartet Sie und wird Ihre Kräfte gebrauchen. Aber nicht um sie in 
so kosmopolitischen Träumereien zu verschwenden oder in den Dienst 
einseitiger Parteitendenzen zu stellen, sondern um die Festigkeit des 
nationalen Gedankens und um unsre Ideale zu pflegen. Gewaltig 
sind die Geistesheroen, die der Stamm der Germanen durch Gottes 
Gnade hat hervorbringen dürfen, von Bonifatius und Walter von 
35 der Vogelweide bis auf Goethe und Schiller, und sie sind zum Lichte 
und Segen der ganzen Nachwelt geworden. Sie wirkten „universal" 
und waren doch streng in sich selbst abgeschlossene Germanen, d. h. Per¬ 
sönlichkeiten, Männer! Die brauchen wir auch heute, mehr als je. 
Mögen Sie auch dahin streben, solche zu werden! 
i) aus Neid.
	        
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