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Reiches Bestand zerfallen, weil es durch seinen llniversalismus an dem
Kristallisationsprozeß zur Nation gehindert ward und zwar zur Nation
im Ganzen. Denn kleinere Kerne kristallisierten sich in Form starker
Fürstentümer und gaben den Grundstock für neue Staatsgebilde ab.
5 Aber dadurch mußten sie und ihre Oberhäupter in Konflikt leider mit
dem dem Universalismus dienenden Kaiser und Reich gelangen, und
es ging der innere Frieden dem stets schwächer werdenden Reich ver¬
loren. Leider muß auch über diese Entwicklungsphase unsers deutschen
Volkes das schwerwiegende Wort des großen Kenners Germaniens,
10 Tacitus, geschrieben werden: kropter invidjam!^) Die Fürsten
neideten den Kaisern ihre Macht, wie einst dem Arminius trotz seines
Sieges. Der Adel neidete die reich gewordenen Städte und der Bauer
den Adel. Was für unselige Folgen und welch schweres Unheil hat
unser liebes, schönes Deutschland propter invidiam erlitten! Davon
i5 können die Gestade Vater Rheins etwas erzählen! Nun, was damals
nicht gelang, Gott gab es einem zu vollbringen!
Aachen und Mainz sind uns historische Erinnerungen; aber
das Sehnen nach dem Zusammenschluß zu einer Nation blieb
in des Deutschen Busen, und Kaiser Wilhelm der Große voll-
20 brachte es im Verein mit seinen treuen Dienern. Drum nach
Koblenz aufs Deutsche Eck den Blick und nach Rüdesheim zum
Niederwald! Die Bilder lehren und beweisen Ihnen, daß Sie jetzt
Germanen sind in deutschem Land, Bürger einer streng begrenzten
deutschen Nation, an deren Heil und Entwicklung in Zukunft mit-
25 zuarbeiten Sie alle zur Vorbereitung hier sind. Herrlich emporgeblüht
steht das Reich vor Ihnen, Freude und dankbare Wonne erfülle Sie,
und der feste mannhafte Vorsatz, als Germanen an Germanien zu
arbeiten, es zu heben, stärken, tragen, durchglühe Sie! Die Zukunft
erwartet Sie und wird Ihre Kräfte gebrauchen. Aber nicht um sie in
so kosmopolitischen Träumereien zu verschwenden oder in den Dienst
einseitiger Parteitendenzen zu stellen, sondern um die Festigkeit des
nationalen Gedankens und um unsre Ideale zu pflegen. Gewaltig
sind die Geistesheroen, die der Stamm der Germanen durch Gottes
Gnade hat hervorbringen dürfen, von Bonifatius und Walter von
35 der Vogelweide bis auf Goethe und Schiller, und sie sind zum Lichte
und Segen der ganzen Nachwelt geworden. Sie wirkten „universal"
und waren doch streng in sich selbst abgeschlossene Germanen, d. h. Per¬
sönlichkeiten, Männer! Die brauchen wir auch heute, mehr als je.
Mögen Sie auch dahin streben, solche zu werden!
i) aus Neid.