Full text: Deutsche Dichtung in der Neuzeit (Abt. 2)

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2. Willst du nach den Früchten greifen, 
Eilig nimm dein Teil davon! 
Diese fangen an zu reifen, 
Und die andern keimen schon. 
Gleich mit jedem Regengüsse 
Ändert sich dein holdes Tal, 
Ach, und in demselben Flusse 
Schwimmst du nicht zum zweiten Mal. 
3. Du nun selbst! Was felsenfeste 
Sich vor dir hervorgetan, 
Mauern siehst du, siehst Paläste 
Stets mit andern Augen an. 
Weggeschwunden ist die Lippe, 
Die im Kusse sonst genas, 
Jener Fuß, der an der Klippe 
Sich mit Gemsenfreche maß. 
4. Jene Hand, die gern und milde 
Sich bewegte wohlzutun, 
Das gegliederte Gebilde, 
Alles ist ein andres nun. 
Und was sich an jener Stelle 
Nun mit deinem Namen nennt, 
Kam herbei wie eine Welle, 
Und so eilt's zum Element. 
5. Laß den Anfang mit dem Ende 
Sich in eins zusammenziehn, 
Schneller als die Gegenstände 
Selber dich vorüberfliehn! 
Danke, daß die Gunst der Musen 
Unvergängliches verheißt, 
Den Gehalt in deinem Busen 
Und die Form in deinem Geist. 
56. Schäfers Klagelied. 
1. Da droben auf jenem Berge, 
Da steh' ich tausendmal, 
An meinem Stabe gebogen, 
Und schaue hinab in das Tal. 
2. Dann folg' ich der weidenden Herde, 
Mein Hündchen bewahret mir sie; 
Ich bin herunter gekommen 
Und weiß doch selber nicht wie. 
3. Da stehet von schönen Blumen 
Die ganze Wiese so voll; 
Ich breche sie, ohne zu wissen, 
Wem ich sie geben soll. 
(1801.) 
I, S. 85. 
4. Und Regen, Sturm und Gewitter 
Verpass' ich unter dem Baum. 
Die Türe dort bleibet verschlossen; 
Doch alles ist leider ein Traum. 
5. Es stehet ein Regenbogen 
Wohl über jenem Haus! 
Sie aber ist weggezogen, 
Und weit-in das Land hinaus; 
6. Hinaus in das Land und weiter, 
Vielleicht gar über die See. 
Vorüber, ihr Schafe, vorüber! 
Dem Schäfer ist gar so weh. 
57. Epilog zu Schillers Glocke. 
(1805.)!) 
XVI, S. 165. „Freude dieser Stadt bedeute, 
Friede sei ihr erst Geläute!" 
1. Und so geschah's! Dem friedenreichen Klange 
Bewegte sich das Land, und segenbar 
Ein frisches Glück erschien; im Hochgesange 
Begrüßten wir das junge Fürstenpaar; 
Im Vollgewühl, in lebensregem Drange 
Vermischte sich die tät'ge Völkerschar, 
Und festlich ward an die geschmückten Stufen 
„Die Huldigung der Künste" vorgerufen2). 
’) 1815 erweitert um Strophe 6, 12 und 13. — 2) Schillers Festspiel „Die 
Huldigung der Künste", gedichtet zum Empfang des Erbprinzen Karl Friedrich und 
seiner Gemahlin Maria Paulowua, gelangte am 12. Nov. 1804 in Weimar zur Aufführung. 
Buschmann, Leseb. f. d. ob. Kl. II. 10. Aust.
	        
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