Full text: [Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj] (Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj)

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Pferd reichlich verdient. Da rieb sich der Mann vergnügt die Hände und 
sagte: „Wieder ein Jahr den Wunsch gespart und doch alles bekommen, 
was man sich wünschte. Was wir für ein Glück haben!" Doch die Frau 
redete ihrem Manne ernsthaft zu, endlich einmal an den Wunsch zu gehen. 
„Ich kenne dich gar nicht wieder," versetzte sie ärgerlich. „Früher hast. 
du immer geklagt und gebarmt und dir alles mögliche gewünscht und 
jetzt, wo du's haben kannst, wie du's willst, plagst und schindest du dich, 
bist mit allem zufrieden und läßt die schönsten Jahre vergehen. König, 
Kaiser, Graf, ein großer, dicker Bauer könntest du sein, alle Truhen voll 
Geld haben — und kannst dich nicht entschließen, was du wählen willst." 
„Laß doch dein ewiges Drängen und Treiben," erwiderte der Bauer. 
„Wir sind beide noch jung, und das Leben ist lang. Ein Wunsch ist 
nur in dem Ringe, und der ist bald vertan. Wer weiß, was uns noch 
einmal zustößt, wo wir den Ring brauchen. Fehlt es uns denn an etwas? 
Sind wir nicht, seit wir den Ring haben, schon so heraufgekommen, daß 
sich alle Welt wundert? Mso sei verständig, du kannst dir ja mittlerweile 
immer überlegen, was wir uns wünschen könnten." 
Damit hatte die Sache vorläufig ein Ende. Und es war wirklich, 
als wenn mit dem Ringe der volle Segen ins Haus gekommen wäre; 
denn Scheuern und Kammern würden von Jahr zu Jahr voller und 
voller. Nach einer längern Reihe von Jahren war aus dem kleinen, armen 
Bauer ein großer, dicker Bauer geworden, der den Tag über mit den 
Knechten schaffte und arbeitete, als wollte er die ganze Welt verdienen, 
nach der Vesper aber behäbig und zufrieden vor der Haustür sah und 
sich von den Leuten guten Abend wünschen ließ. 
4. So verging Iahr um Jahr. Dann und wann, wenn sie ganz 
allein waren und niemand es hörte, erinnerte zwar die Frau ihren Mann 
immer noch an den Ring und machte ihm allerhand Vorschläge. Da tt 
aber jedesmal erwiderte, es habe noch vollauf Zeit, und das Beste falle 
einem stets zuletzt ein, so tat sie es immer seltner, und zuletzt kam es 
kaum noch vor, daß auch nur von dem Ringe gesprochen wurde. Zwar 
der Bauer selbst drehte den Ring täglich wohl zwanzigmal am Finger um 
und besah sich ihn; aber er hütete sich, einen Wunsch dabei auszusprechen. 
Und dreißig und vierzig Jahre vergingen, und der Bauer und seine 
Frau waren alt und schneeweiß geworden, der Wunsch aber war immer 
noch nicht getan. Da erwies ihnen Gott eine Gnade und ließ sie beide 
in einer Nacht selig sterben. 
Kinder und Kindeskinder standen um ihre beiden Särge und weinten, 
und als eins von ihnen den Ring abziehen und aufheben wollte, sagte 
der älteste Sohn: „Laßt den Vater seinen Ring mit ins Grab nehmen. 
Er hat sein Lebtag seine Heimlichkeit mit ihm gehabt. Es ist wohl ein
	        
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