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3. Gesagt, so geschehn! Und da naht sich der Graus
und siehet so grau und so schattenhaft aus,
doch schlürft es und schlampst es aufs beste.
Das Bier ist verschwunden, die Rrüge sind leer;
nun saust es und braust es, das wütige Heer,
ins weite Getal und Gebirge.
Die Rinderlein ängstlich gen Hause so schnell,
gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell:
„Ihr Süppchen, nur seid mir nicht traurig!"
„Wir kriegen nun schelten und Streich' bis aufs Blutt"
„Nein, keineswegs, alles geht herrlich und gut,
nur schweiget und horchet wie Uläuslein!
5. Und der es euch anrät, und der es befiehlt,
er ist es, der gern mit den Rindelein spielt,
der alte Getreue, der Eckart.
Dom Wundermann hat man euch immer erzählt;
nur hat die Bestätigung jedem gefehlt,
die habt ihr nun köstlich in Händen."
6. Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug
ein jedes den Eltern bescheiden genug
und harren der Schläg' und der Schelten.
Doch siehe, man kostet: „Ein herrliches Bier!"
Wan trinkt in die Bunde schon dreimal und vier,
und noch nimmt der Rrug nicht ein Ende.
?. Das wunder, es dauert zum morgenden Tag;
doch fraget, wer immer zu fragen vermag:
„wie ist's mit den Rrügen ergangen?"
Die Uläuslein, sie lächeln im stillen ergeht;
sie stammeln und stottern und schwatzen zuletzt,
und gleich sind vertrocknet die Rrüge.
8. Und wenn euch, ihr Rinder, mit treuem Gesicht
ein Vater, ein Lehrer, ein Alderman spricht,
so horchet und folget ihm glücklich!
Und liegt auch das Zünglein in peinlicher Hut,
verplaudern ist schädlich, verschweigen ist gut,
dann füllt sich das Bier in den Rrügen.
Ioh. Wolfg. v, Goethe.
196. Der hartgeschmiedete Landgraf.
1. Landgraf Ludwig der Eiserne war in seiner Jugend ein milder
und gütiger Herr, demütig und nachsichtig gegen jedermann. Wegen dieser
Milde wurden seine Junker und Edelleute hochmütig und stolz und ver¬
gaßen seine Güte und Nachsicht, sie schmähten ihn, nannten ihn einen
Toren, der zur Regierung nicht tauge, und achteten seine Gebote nicht
hoch. Auch beschwerten sie seine Untertanen an allen Enden, schätzten
und drückten sie sehr und taten ihnen viel Unrecht.
2. Es trug sich aber einmal zu, daß der Landgraf zur Jagd aus-
ritt auf den Wald und ein Wild antraf. Diesem folgte er eifrig nach,
verirrte sich, und die Nacht brach herein. Da gewahrte er ein Feuer,
richtete sich danach und kam in die Ruhl zu einem Waldschmiede. Der
Landgraf war mit schlechten Kleidern angetan und hatte ein Jagdhorn