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Als man dem Herzoge erzählte, wie der Greif erlegt worden war,
stand er keine Minute an, sein Wort zu erfüllen. Er hieß Gotische
Schaf niederknien, schlug ihn zum Ritter und verlobte ihn auf der
Stelle mit seiner Tochter, obwohl seine Edelleute murrten, daß er einem
armen Schäfer seine Prinzessin vermählen wolle.
Als Mitgift gab er ihm die Neuburg) zum Andenken an seine Tat
wurde sie Greiffenstein genannt. Dann befahl er ihm, beim Aufgange
der Sonne am nächsten Morgen seine Schafherde aus dem Schloßtore
zu treiben, und sagte zu ihm: „Alles Land, das du bis zum Untergange
der Sonne mit ihr umziehen wirst, soll dein Eigentum sein."
Da säumte der junge Ritter nicht, und am nächsten Abende war
er einer der reichsten Herren des Landes Schlesien.
5. Doch wollte sich Gotische Schaf einer solchen Erhöhung erst
würdig machen. Deshalb bat er seinen künftigen Schwiegervater, ihm
Unterricht in allen adligen Künstelt und Wissenschaften geben zu lassen.
Dann zog er hinaus ins Reich zum Heere des Kaisers. Dort
zeichnete er sich durch Mut so aus, daß der Kaiser ihn zu seinem Waffen¬
träger annahm. In einer großen Schlacht trug Gotische Schaf das
meiste zum Siege bei. Da schlug ihn der Kaiser zum Ritter, erhob
ihn in den Grafenstand und gab ihm den Namen Schaffgotsch.
6. Nachdem nun der tapfere Gotische bereits zwei Jahre abwesend
gewesen war, hielt der Herzog Bolko ein großes Kampfspiel auf der
Feste Lähnhaus ab, und viele Ritter strömten dahin zusammen, um
sich einen Preis ihrer Tapferkeit und Geschicklichkeit zu erkämpfen.
Schon war das Fest dem Ende nahe, da ritt noch ein fremder,
schwarz geharnischter Rittersmann ein, der drei Greifenköpfe im Wappen
führte. Der schönen Agnes pochte das Herz gar ängstlich) denn sie
ahnte, wer es sei. In kurzer Frist aber streckte der fremde Ritter
einen seiner Gegner nach dem andern in den Sand, und darum führten
ihn die Kampfrichter zu dem Sitze der Prinzessin, um aus ihrer Hand
den Dank zu erhalten.
Hier mußte er das Visier öffnen, und die schöne Agnes erkamcke
in dein wettergebräunten Tapfern ihren sehnlichst erwarteten Verlobten.
Nun ließ die Vermählung nicht mehr lange auf sich warten. Graf
Schaffgotsch ward der Stammvater des noch blühenden Geschlechts.
Die Burg Greiffenstein, obwohl längst in Trümmer gesunken, behielt
ihren Namen bis auf den heutigen Tag und übertrug ihn auch auf das
an ihreni Fuße erbaute Städtchen Greiffenberg.
Nach I. W. Th. Grasses Sagenbuch d. Preuh. Staates.