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sehe gar nichts von der Welt. 
Drnm wär' es ganz gescheit getan, 
ich stieg' ein bißchen höher hinan." — 
Aus dem Wiesenland 
i5 mit eigner Hand 
zieht es ein Beinchen nach dem andern 
und begibt sich aufs Wandern. 
„Drüben der Hügel wär' mir schon recht; 
wenn ich den erreichen möcht', 
20 könnt' ich ein Stückchen weiter sehn; 
dahin will ich gehn." 
Und so im behenden Lauf 
steigt das Veilchen den Hügel hinauf, 
pflanzt sich dort oben ein 
25 im schönsten Sonnenschein. 
Kaum aber hat es hier einen Tag 
gestanden, 
meint es: „Von allen Landen 
sieht man hier oben kein großes Stück 
und hat keinen freien Blick; 
30 aber auf jenem Berge dort, 
das wär' ein Ort, 
wo ich wohl möchte stehn, 
um in die weite Welt zu sehn; 
drum wär' es noch gescheiter getan, 
35 ich stieg' ein bißchen höher hinan!" 
Und wie gesagt, so getan. 
Aus dem Hügel, wo es stand, 
zieht es mit eigner Hand 
ein Beinchen nach dem andern 
40 und begibt sich aufs Wandern. 
Doch den Berg hinauf 
geht es nicht in so raschem Lauf, 
es muß sich verpusten, muß öfter ruhn. 
Endlich mit niedergetretenen Schuh'n, 
45 auf beschwerlicher Bahn, 
kommt's Veilchen oben an, 
pflanzt sich dort wieder ein 
im hellen Sonnenschein. 
„Ei," spricht es, „hier ist's schön; 
aber alles kann man doch nicht sehn; 
so ein Berg 
ist doch nur ein Zwerg. 
Auf der Alp da droben, 
das wär' eher zu loben, 
da möcht' ich wohl sein! 
Da guckt' ich bis in den Himmel hinein, 
hörte die Englein musizieren, 
säh' unsern Herrgott die Welt 
regieren!" 
Und aus dem Berge, wo es stand, 
zieht es wieder mit eigner Hand 
ein Beinchen nach dem andern, 
begibt sich noch einmal aufs Wandern. 
Die Reise macht diesmal viel Beschwer, 
kein Weg, kein Steg war ringsumher, 
dem Veilchen flimmert's vor dem Blick, 
es schwindelt, es kann nicht wieder 
zurück; 
da setzt es die ganze Kraft noch daran, 
zum Tode ermattet kommt's oben an. 
Ach! da war der Boden von Stein, 
kann mit den Füßchen nicht hinein. 
Der Wind, der bläst so hart, 
das Veilchen vor Frost erstarrt. 
Es zappelt mit allen Würzlein, 
bedeckt sie mit dem grünen Schürzlein, 
friert sehr an Händen und an Beinen. 
Da fängt's bitterlich an zu weinen. 
Die blauen Bäckchen werden weiß, 
die Tränen gefrieren darauf zu Eis. 
„Ach! wär' ich geblieben im Tale dort!" 
Das war Blau-Veilchens letztes Worr; 
darauf sank es um 
und blieb stumm. — 
„Hast du im Tal ein sichres Haus, 
dann wolle nie zu hoch hinaus!" 
Friedrich Förster. 
46. Der Hirtenknabe. 
Abbas der Große, König von Persien, war einst aus der Jagd ver¬ 
irrt. Er kam auf einen Berg, wo ein Hirtenknabe eine Herde Schafe 
weidete; der Knabe saß unter einem Baume und blies die Flöte. Die 
süße Melodie des Liedes und die Neugierde lockten den König näher 
hinzu. Das offene Gesicht des Knaben gefiel ihm; er fragte ihn über 
allerlei Dinge, und die schnellen, treffenden Antworten des Kindes,
	        
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