89
sichtigkeit genug besitzt.“ „Schweigt ihr!“ befahl das Pferd. „Wir
wissen es schon: wer sich auf die Güte seiner Sache am wenigsten
zu verlassen hat, ist immer am fertigsten, die Einsicht seines Richters
in Zweifel zu ziehen.“
2.
Der Mensch ward Richter. — „Noch ein Wort,“ rief ihm der
majestätische Löwe zu, „bevor du den Ausspruch tust! Nach welcher
Regel, Mensch, willst du unsern Wert bestimmen?“ „Nach welcher
Regel? Nach dem Grade, ohne Zweifel,“ antwortete der Mensch,
„in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich seid.“ -— „Vor¬
trefflich!“ versetzte der beleidigte Löwe. „Wie weit würde ich
alsdann unter dem Esel zu stehen kommen! Du kannst unser Richter
nicht sein, Mensch! Verlaß die Versammlung!“
3.
Der Mensch entfernte sich. — „Nun,“ sprach der höhnische
Maulwurf, — und ihm stimmte der Hamster und der Igel wieder
bei — „siehst du, Pferd? der Löwe meint es auch, daß der Mensch
unser Richter nicht sein kann. Der Löwe denkt wie wir.“ „Aber
aus bessern Gründen als ihr!“ sagte der Löwe und warf ihnen
einen verächtlichen Blick zu.
4.
Der Löwe fuhr weiter fort: „Der Rangstreit, wenn ich es recht
überlege, ist ein nichtswürdiger Streit! Haltet mich für den Vor¬
nehmsten oder für den Geringsten; es gilt mir gleich viel. Genug,
ich kenne mich!“ — Und so ging er aus der Versammlung. Ihm
folgte der weise Elefant, der kühne Tiger, der ernsthafte Bär, der
kluge Luchs, das edle Pferd, kurz, alle, die ihren Wert fühlten oder
zu fühlen glaubten. Die sich am letzten wegbegaben und über die
zerrissene Versammlung am meisten murrten, waren — der Affe
und der Esel.
68. Der Fuchs als Richter.
Franz Schulz.
Einmal ist der Fuchs Richter gewesen zwischen der Schlange und
einem Wandersmann, und er Hat die Sache vortrefflich geschlichtet.
Die Schlange Hatte sich in ein tiefes Loch, nahe an einen Felsen
gelegt und wollte daselbst ihren Mittagsschlaf halten. Da rollt ein