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3. Die Fenster auf, die Herzen auf!
geschwinde, geschwinde!
Der Frühling klopft und pochtja schon —
horcht, horcht, es ist sein lieber Ton!
Er pocht und klopfet, was er kann,
mit kleinen Blumenknospen an,
geschwinde, geschwinde!
4. Die Fenster auf, die Herzen auf!
geschwinde, geschwinde!
Und wenn ihr noch nicht öffnen wollt,
er hat viel Dienerschaft im Sold,
die ruft er sich zur Hülfe her
und pocht und klopfet immer mehr,
geschwinde, geschwinde!
5. Die Fenster auf, die Herzen auf!
geschwinde, geschwinde!
Es kommt der Junker Morgenwind,
ein pausebackig rotes Kind,
und bläst, daß alles klingt und klirrt,
bis seinem Herrn geöffnet wird,
geschwinde, geschwinde!
6. Die Fenster auf, die Herzen auf!
geschwinde, geschwinde!
Es kommt der Ritter Sonnenschein,
der bricht mit goldnen Lanzen ein,
der sanfte Schmeichler Blütenhauch
schleicht durch die engsten Ritzen auch,
geschwinde, geschwinde!
7. Die Fenster auf, die Herzen auf!
geschwinde, geschwinde!
Zum Angriff schlägt die Nachtigall,
und horch, und horch, ein Widerhall,
ein Widerhall aus meiner Brust!
Herein, herein, du Frühlingslust,
geschwinde, geschwinde!
Wilhelm Müller.
62. Der Kirschbaum.
1. Zum Frühling sagt der liebe Gott:
„Geh, deck dem Wurm auch feinen Tisch!"
Gleich treibt der Kirschbaum Laub um Laub,
viel taufend Blätter grün und frisch.
2. Das Würmchen ist im Ei erwacht,
es schlief in seinem Winterhaus,
es streckt sich, sperrt sein Mäulchen auf
und reibt die blöden Augen aus.
3. Und darauf hat's mit stillem Zahn
an seinen Blätterchen genagt;
es sagt: „Man kann nicht weg davon!
Was solch Gemüs mir doch behagt!" —
4. Und wieder sagt der liebe Gott:
„Deck jetzt dem Bienchen feinen Tisch!"
Da treibt der Kirschbaum Blüt' an Blüt',
viel taufend Blüten weiß und frisch.
Koppey u. Koch. Teutsches Lesebuch für Mittelschulen. III.
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