Full text: (Viertes und fünftes Schuljahr) (Teil 2 für Kl. 6 u. 5)

hinaus, über das Dach, über das Haus, in die sonnige Luft, zum 
blauen Himmel. Sie blickte in die fließende, bläuliche Säule, und 
eine Sehnsucht erfaßte sie, mit dem Rauch aufzusteigen und von 
seinem schmeichelnden, warmen Hauch emporgetragen zu werden, 
dort hinauf, dort hinaus, in die sonnige Luft, zum blauen Himmel. 
Sie kroch immer näher und näher, und plötzlich konnte sie nicht 
mehr widerstehen und war mit einem Sprung mitten in der Rauch¬ 
säule, die sie wirbelnd umgab und in der sie verschwand. Sie 
wußte nicht, wie ihr geschah, sie wurde betäubt, die Sinne schwanden 
ihr, sie sank und war im nächsten Augenblick ein kleines Häuflein 
Asche auf den glühenden Kohlen des Kochherdes. Sie hatte keine 
Schmerzen gelitten; denn sie war bewußtlos, als sie in das Feuer fiel. 
77. Der Arme und der Reiche. 
Brüder Grimm. 
Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter 
den Menschen wandelte, trug es sich zu, das; er eines Abends müde war 
und ihn die Nacht überfiel, ehe er zu einer Herberge kommen konnte. 
Nun standen auf dem Wege vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, 
das eine groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und 
das große gehörte einem Reichen, das kleine einem armen Manne. 
Da dachte unser Herrgott: „Dem Reichen werde ich nicht beschwerlich 
fallen, bei dem will ich anklopfen." Der Reiche, als er an seine 
Tür klopfen hörte, machte das Fenster aus und fragte den Fremdling, 
was er suche. Der Herr antwortete: „Ich bitte um ein Nachtlager." 
Der Reiche guckte den Wandersmann vom Haupt bis zu den Füßen an, 
und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug und nicht aussah wie 
einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf 
und sprach: „Ich kann Euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen 
voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der 
an meine Tür klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand 
nehmen. Sucht Euch anderswo ein Unterkommen." Schlug damit sein 
Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe 
Gott den Rücken und ging hinüber zu dem kleinen Haus. Kaum hatte 
er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Türchen auf und bat den 
Wandersmann, einzutreten. „Bleibt die Nacht über bei mir," sagte er, 
„es ist schon finster, und heute könnt Ihr doch nicht weiterkommen."
	        
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